Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

12 gestellt, daß er sich fügen möge. Oder ge¬ schieht ihm ein Unrecht? Es ist gut, wenn der unglückselige Baum endlich entfernt wird.“ „Und wenn er sich nun zu einer Ge¬ walttat hinreißen laßt?“ warf Heinrich ein. „Er wird es nicht tun“, suchte ihn der Schulze zu beruhigen. „Er wird die Ar¬ beiter vielleicht schelten, ich habeden¬ selben indes gesagt, daß sie auf eine Worte weder hören, noch antworten. Heinrichs Vorstellungen halfen nichts. Langsam und mit schwerem Herzen folgte er den Menschen, welche zum Hofe seines Vaters zogen. Kersten stand an der Tür seines Hofes dicht neben dem alten Baumstamme, einen schweren Stock in der Hand. Seine Gestalt war halb zusammengesunken, sein Gesicht war bleich, seine Augen waren auf die knorrigen Wurzeln des Baumes gerichtet. Auch hinter ihm schien eine schlaflose Nacht zu liegen. Als er die Augen emporrichtete und die Menschen die Straße heraufkommen sah, voran die Arbeiter mit Aexten und Sägen, zuckte er zusammen, es war ihm, als ob über ihn selbst das Todesurteil ausgesprochen werde. Nur einen Augen¬ blick hielt diese Schwäche an, dann rich¬ tete er seine lange Gestalt auf und sein Auge blickte fest. Nicht eine Minute lang schien er in seinem Entschlusse schwan¬ kend zu werden, mit äußerer Ruhe sah er dem Kommenden entgegen. Die Arbeiter langten an und legten ihre Gerätschaften auf der Straße nieder, Kersten rührte sich nicht, gleich gültig schien sein Auge auf dem, was um ihn vorging, zu ruhen, erst als einer der¬ selben die Axt erfaßte und damit an den Baum heranschritt, trat er rasch vor. „Was wollt Ihr?“ fragte er und seine Stimme zitterte vor Aufregung. „Den Baum umhauen wie uns der Schulze befohlen hat“, gab de „Arbeiter zur Antwort. 9r „Zurück!“ rief Kersten h uug, „Den ersten der die Hand an ihn schlage g13c ich nieder!“ 1 910 101 Aua ob unu Der Arbeiter antwortete nicht, denn der Schulze hatte ihm ja gesagt, daß er auf die Worte des Bauers nicht hören möge. Er erfaßte die Axt, erhob sie und ließ sie schwer auf den Stamm des Baumes niederfallen. In demselben Augenblicke traf ihn Kerstens Stock schwer auf den Kopf, so daß er taumelnd und blutend niederstürzte. Ein Bauer fing ihn in seinen Armen auf, erbittert wollten die übrigen auf Kersten eindrin¬ gen, Heinrich stürzte indes vor und warf sich ihnen entgegen. „Zurück!“ rief er. „Wollt ihr das Un¬ glück noch vergrößern? Er hatte das zuckende Auge seines Vaters gesehen und wußte daß derselbe eher sterben, als nachgeben würde. Und noch war seine große Gestalt kräftig ge¬ nug, um den hartnäckigsten Widerstand zu leisten. Die Bauern gaben Heinrichs Bitten nach, es kam hinzu, daß der getroffene Arbeiter schwer verletzt schien. Er hatte das Bewußtsein verloren und blutete heftig, Hilfe schien dringend nötig. Man brachte ihn in das nächste Haus, um seine Wunde zu untersuchen und zu ver¬ binden. Der Schulze, welcher nicht erwartet hatte, daß es so weit kommen werde, eilte herbei und befahl den Arbeitern, von dem Fällen des Baumes abzustehen, um noch Schlimmeres zu vermeiden. Regungslos hatte Kersten dagestanden, die drohenden Worte, welche gegen ihn ausgestoßen wurden, schien er nicht zu hören, seinen Sohn, der sich seinen Geg¬ nern entgegengeworfen, nicht zu sehen, seine ganze Aufmerksamkeit war nur auf den Baum gerichtet. Erst als die Arbeiter sich entfernten wandte auch er sich und schritt auf seinen Hof, dessen Tür er hinter sich verschloß. Zu Heinrich hatte er kein Wort gesprochen. Es sah schlimm aus mit dem unglück¬ lichen Arbeiter, den Kerstens Stock ge¬ troffen hatte und Stunden vergingen, ehe er zum Bewußtsein zurückkehrte. Der aus der Stadt herbeigerufene Arzt gab zwar die Versicherung, daß für sein Leben

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