Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

8 wechselnd über Lüders und Heinrich hin, als begreife er die Worte noch nicht. 1 „Stoßt die Hand nicht zurück, fuhr Lüders mit ruhiger Stimme fort. „Das Unglück hat mich schwer heimgesucht, da geht der Mensch in sich und sucht zu ühnen, wo er gefehlt hat. Wir haben lange genug uns das Leben verbittert, laßt uns nun in Frieden leben!“ Länger vermochte Kersten sich nicht zu beherrschen. „Zurück!“ rief er laut. „Wer, wer hat Euer Mädchen gerettet?“ „Ich habe es getan“, gab Heinrich zur Antwort und trat unerschrocken vor einen Vater hin. „Also du — du!“ rief Kersten, bitter und höhnend auflachend. „Haha! Und Ihr wollt Versöhnung von mir!“ wandte er sich an Lüders. „Ehe Feuer und Wasser nicht friedlich beisammen woh¬ nen, eher mag ich mit Euch nichts zu schaffen haben! „Vater!“ fiel Heinrich erschrocken ein. „Kersten, seid nicht unversöhnlich!“ mahnte Lüders. „Wer nicht verzeihen kann, darf nie auf Verzeihung rechnen!“ „Fort! Fort aus meinem Hause, oder ich mache von meinem Hausrechte Ge¬ brauch!“ unterbrach ihn Kersten, dessen Zorn keine Beherrschung mehr kannte. ∆ „Ich will keine Versöhnung! Fort!“ Er ergriff einen Stuhl und schwang denselben drohend empor. Heinrich warf sich ihm entgegen, um Mariens Vater zu chützen; Lüders verließ das Zimmer. Mit dem Stuhl in der Hand, in drohen¬ der Stellung, stand Kersten seinem Sohne gegenüber, sein Auge glühte, seine große Gestalt schien ihre volle Kraft wieder erlangt zu haben, seine Brust rang nach Atem. Endlich ließ er den Stuhl langsam niedersinken. „Es ist also wahr, daß du das Mädchen gerettet hast?“ fragte er, die Worte mühsam her¬ vorbringend. „Ja!“ gab Heinrich ohne Furcht zur — Antwort. „Und ich würde es zum zweiten Male tun, wenn ich sie in der¬ elben = Gefahr erblickte!“ „Dann fort aus meinen Hause — du hast hier nun nichts mehr zu suchen!“ rief der Bauer heftig. „Vater, stoße mich nicht von dir!“ sprach Heinrich erschüttert. „Wer meinem Feinde Beistand leistet der ist auch mein Feind!“ fuhr Kersten fort. „So lange ich lebe, wirst du die Schwelle dieses Hauses nicht wieder be¬ treten!“ „Zerreiß' nicht das Band, welches uns verknüpft hat“ warf Heinrich ein. „Es ist bereits zerrissen, ich sage mich los von dir!“ rief Kersten. Heinrich stürzte aus dem Zimmer und eilte auf seine Kammer. In Hast packte er seine wenigen Habseligkeiten zusam¬ men und verließ mit ihnen das Haus. Sein Fuß zögerte, als er über die Schwelle trat — es war die Schwelle eines Vaterhauses, die Schwelle, auf der er als Kind gespielt, die den Eingang zu all seinen Jugenderinnerungen und Jugendfreuden bildete. Ob er noch ein¬ mal hineintrat zu seinem Vater, um zu Er versuchen, ihn zu versöhnen? kannte den festen Sinn des Mannes, und auch in seiner Brust regte sich ein Gefühl des Trotzes. War er nicht ver¬ stoßen, weil er eine edle Tat begangen hatte? Er eilte fort. Als er den Hof seines Vaters verlassen hatte und auf die Straße trat, schritt er unwillkürlich langsamer. Wohin sollte er sich wenden? Er hatte keine Heimat mehr, allein und verlassen stand er da! Seine Brust war so voll der Freude gewesen, als er am Tage zuvor nach dreijähriger Abwesen¬ heit das Dorf wieder betreten hatte, und „ jetzt sollte er vielleicht fur immer aus ihm scheiden? Unwillkürlich drängte sich eine Träne in sein Auge. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter, er wandte sich um und Lüders stand vor ihm. „Heinrich, wohin willst du?“ fragte derselbe. Heinrich zögerte mit der Antwort. Konnte er gestehen, daß er von seinem Vater verstoßen war? Und doch ver¬ mochte er es nicht zu verbergen, das

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