Die Straße war bereits mit Menschen erfüllt, Spritzen und Wasserwagen drängten einander. Durch lautes Rufen suchten die Führer derselben sich Bahn zu brechen, keiner hörte; mit Gewalt wollten sie den Durchgang erzwingen und vermehrten die bereits herrschende Ver¬ wirrung. Es fehlte nicht an Händen zur Hilfe, aber an einem Kopf, der sie leitete. Das Feuer gewann durch diese Ver¬ zögerung immer mehr Gewalt. Als end¬ lich eine Spritze den Hof glücklich erreicht hatte und für das Wasser gesorgt war wurde die ganze Kraft auf das bren¬ nende Haus gerichtet, welches ohnehin nicht mehr zu retten war. Niemand dachte daran, daß es die einzige Aufgabe ein mußte, dem Weitergreifen des Feuers Einhalt zu tun und die an das Haus grenzenden Stallgebäude zu chützen. Vergebens machte Heinrich, der sich mit Mühe auf den Hof durchgedrängt hatte, hierauf aufmerksam, niemand hörte auf ihn. Mehr als zwanzig Stim¬ men kommandierten laut, ohne daß einer einzigen gehorcht wurde. Die entgegen¬ gesetztesten Anordnungen steigerten die Verwirrung. Ein heftiger Wind trieb die Flamme von Kerstens Gehöft fort und brachte dasselbe aus der Gefahr, Heinrich dachte deshalb auch nicht daran, seinem Vater zu Hilfe zu eilen. Sein Auge suchte Marie. Einen Augenblick sah er sie in dem Menschengedränge, dann eilte sie zurück in das Haus. Er wollte ihr nach¬ türzen, um sie zurückzuhalten, denn jeden Augenblick konnte das Gebäude zu¬ sammenbrechen, allein vergebens suchte er sich durch den Menschenknäuel und das Gewirr der Spritzen und Wasser¬ wagen hindurchzudrängen. Endlich ge¬ langte er bis zu dem Hause, da stürzte ein Teil desselben vor ihm zusammen. Erschreckt war er zurückgesprungen Rauch und Staubwolken umgaben ihn. Als dieselben sich verzogen hatten, be¬ merkte er, daß der einzige Eingang des Hauses verschüttet war — das unglück¬ liche Mädchen, welches er hatte retten 5 wollen, schien unter den Trümmern be¬ graben zu sein. Heinrich vernahm einen Hilferuf über sich —es war Mariens Stimme. Hilfe¬ flehend streckte sie die Arme aus einem Fenster. Der noch stehende Teil des Hauses konnte jeden Augenblick zusam¬ menbrechen; schon hatte der Rauch die Unglückliche halb verhüllt. „Sie ist verloren!“ riefen die Um¬ stehenden. „Kein Mensch vermag sie zu retten. Eine Minute lang hatte Heinrich wie gelähmt dagestanden, die Worte „sie ist verloren!“ rüttelten ihn wach „Eine Leiter — eine Leiter!“ rief er laut. „Es ist zu spät — es ist unmöglich. Du wirst dein eigenes Leben zum Opfer bringen, antworteten mehrere Bauern Er hörte die Worte kaum. Noch lauter wiederholte er seinen Ruf, und als mehrere Männer eine Leiter herbeibrachten, nahm er ihnen dieselbe ab und richtete sie mit der Kraft der Verzweiflung empor. Schon wollte er die Leiter emporeilen, als ein bejahrter Mann seinen Arm erfaßte und ihn zu¬ rückhielt. laß, Heinrich!“ rief er. „Es „Laß ist entsetzlich genug, wenn ein Menschen¬ — rette das leben zugrunde geht deinige!“ Die Hilferufe des unglücklichen Mäd¬ chens waren bereits schwächer und schwächer geworden, der Rauch schien sie zu ersticken. Den Arm, der ihn zurückhalten wollte, fortstoßend, sprang Heinrich die Leiter empor. Er bemerkte nicht, wie heftig dieselbe schwankte, er sah nicht, daß unter ihm bereits die Flammen aus den Fenstern schlugen, ihn erfüllte nur der eine Gedanke, das unglückliche Mäd¬ chen zu retten. Mit angstvoller Spannung waren aller Augen auf ihn gerichtet, an das Gelingen seines Vorhabens glaubte nie¬ mand. Heinrich hatte die obersten Stufen der Leiter erreicht, sein kräftiger Arm erfaßte bereits die Unglückliche, welche
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2