Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

2 kümmert uns nicht, wir wollen keine Feinde sein!“ Er fühlte einen leisen Druck ihrer Hand; ihr Auge blickte dankend zu ihm auf und errötend erwiderte sie: „Ich bin dir nie feindlich gesinnt gewesen!“ Lustig zog er sie in die Reihe der Tanzenden, sein Herz war so leicht, denn ein altes Vorurteil hatte es gebrochen. Hielt er nicht das hübscheste Mädchen im ganzen Dorfe mit dem Arm um¬ schlungen? Hatte sie ihm nicht gestanden, daß sie ihm nie feindlich gesinnt ge¬ wesen sei? „Marie, wie schön bist du geworden!“ flüsterte er ihr während des Tanzes zu, sie antwortete nicht, allein er glaubte ihr Herz schneller schlagen zu hören. Hand in Hand trat er mit ihr zur Seite; es war ihm, als ob die Brust ihm zerspringen wolle. „Marie, laß uns Freunde sein!“ sprach er. „Vergiß, daß ich früher oft unartig gegen dich gewesen bin!“ Seine Worte klangen weich, bittend. □ „Ich habe es längst vergessen, er¬ widerte Marie und senkte errötend das Auge. Eine schwere Hand legte sich auf Hein¬ richs Arm. Ueberrascht blickte er sich um die große, etwas gebeugte Gestalt seines Vaters stand vor ihm. Die Brauen desselben waren zusammenge¬ zogen, die Augen blickten finster. „Mit dem Mädchen sollst du nicht tanzen!“ sprach Kersten und das leise Zittern seiner Stimme verriet seine innere Erregung. Heinrich richtete sich hoch auf, das Blut schoß ihm in die Wangen. Er war kein Knabe mehr, der sich zurechtweisen ließ. Die Burschen, welche sich neugierig um ihn scharten, weckten ein Gefühl der Beschämung und des Trotzes in ihm. „Weshalb nicht?“ fragte er, ohne dem insteren Blicke seines Vaters auszu¬ weichen. „Weil sie die Tochter meines Feindes ist!“ gab Kersten zur Antwort. „Meine Feindin ist sie nicht, denn sie hat mir nie ein Leid zugefügt!“ rief Heinrich. „Komm', Marie!“ fügte er hin¬ zu und wandte sich um, um die Hand einer Tänzerin wieder zu erfassen. Marie war fortgeeilt, um den Schmerz, den dies Dazwischentreten in ihr wachgerufen, nicht zu verraten; Tränen hatten sich in ihre Augen ge¬ drängt und sie wollte dieselben nicht zeigen. „Du wirst nicht mit ihr tanzen!“ rief der Bauer, und seine Worte klangen wie eine Drohung. „Wer will mich hindern?“ warf Hein¬ rich ein. „Ich!“ entgegnete Kersten. „Marie ist fortgeeilt!“ riefen mehrere Burschen, welche für Heinrich Partei er¬ griffen hatten. „Dann gehe ich auch fort!“ sprach Heinrich und verließ sofort den Tanz¬ boden. Kersten folgte ihm schweigend, die Lippen fest aufeinander gepreßt. Als er auf die Straße trat, sank seine große Gestalt noch mehr zusammen. Der Kopf neigte sich nach vorn und langsam schritt er seiner Wohnung zu. In der Erregung hatte er die Last, welche seit Jahren er¬ drückend auf ihm lag, abgeschüttelt, jetzt ruhte sie wieder schwerer als je zuvor auf ihm. Er war ein rechter Bauerncharakter, fest, zäh und eigensinnig. Unversöhnbar, wenn er haßte, unbeugsam, wenn er im Rechte zu sein glaubte, und eher alles opfernd, ehe er ein Pünktchen des Rechtes aufgab, selbst wenn dies ihm nichts nützte. Er war ein bereits bejahrter Mann und hinter ihm lag eine Vergangenheit voll Arbeit und Mühen. Alles, was er besaß, hatte er sich selbst errungen, und er würde vermögend gewesen sein, hätte er nicht seit Jahren fortwährend pro¬ zessiert und die Advokaten mehr be¬ reichert als sich. Obenein war er seines Lebens nie froh geworden, denn an Aerger hatte es ihm natürlich nie gefehlt. Durch einen Prozeß war er auch mit einem Nachbar, dem Bauer Lüders, ver¬ feindet und viel Kummer hatte diese

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