unserer Ahnen verlassen. Deshalb legte ich diesen Schmuck an. Und nun noch eins, Ewald, ich habe schon längst mit dir darüber reden wollen, aber nie den geeigneten Augenblick dazu gefunden. Du weißt, ich nahm Marie an Kindes Statt an, als ihre Großmutter starb und das Kind, eine Waise, keine Zuflucht hatte. Du hast dem Mädchen stets die Liebe eines Bruders entgegengetragen und viel¬ leicht nicht bemerkt, daß das Saatkorn dieser Liebe andere Blüten trieb, als die, welche es naturgemäß treiben sollte. Sie liebt dich mit der ganzen Glut und Kraft ihrer jungfräulichen Seele, sie liebt dich trotz deinen zahlreichen Schwächen und Verirrungen. Laß mich nun zu Ende reden“ fuhr sie fort, als der Freiherr sie C unterbrechen wollte. „Ich lese in deinem Blick, daß du an diese Liebe nicht glauben kannst, ich finde sie natürlich. Marie be¬ trachtete dich als ihren Bruder, ihre Liebe war umso reiner und aufrichtiger, als sie durch dieselbe mir die erzeigten Wohl¬ taten zu vergelten glaubte. Sie lernte durch deine Verirrungen dein edles Herz, dein weiches Gemüt kennen und be¬ dauerte tief, daß du nicht die Kraft be¬ saßest, gegen die dich beherrschenden Leidenschaften anzukämpfen. Dieses Be¬ dauern, verbunden mit der Hoffnung, es werde dir gelingen, das Sklavenjoch ab¬ zuwerfen, fesselten dich enger und enger an sie; ehe sie es ahnte, liebte sie dich.“ Der Freiherr hatte sich erhoben; er entsann sich der Worte, welche Marie in verwichener Nacht zu ihm geredet hatte. „Ich begreife es nicht,“ sagte er, „mein Lebenswandel mußte sie zurückstoßen, sie „ konnte mich nicht achten „Sage das nicht, unterbrach Frau v. Assenborn ihn, „ein Mädchenherz geht über den Leichtsinn und die Torheit der Jugend ohne große Bedenken hinweg. Marie hat mir ihre leidenschaftliche Liebe nicht gestanden, aber ich lese in ihrer Seele wie in einem offenen Buche. Ich hielt es für meine Pflicht dich darauf aufmerksam zu machen; dir bleibt es natürlich überlassen, was du tun willst. Verschmähst du die reine, vertrauende 11 Liebe dieses Mädchens, so darf Marie uns nicht begleiten „Darüber zu entscheiden, Mutter, ist der gegenwärtige Augenblick nicht geeig¬ net“ fiel der Freiherr hastig ein. „Ich danke dir für deine Mitteilung und bitte dich, mir Zeit zur Ueberlegung zu gönnen.“ „Ich will dir in dieser Angelegenheit nicht raten,“ fuhr Frau von Assenborn ruhig fort, „weder mein Rat, noch meine Wünsche dürfen deinen Entschluß beein¬ flussen. Nur die Erklärung halte ich für notwendig, daß ich in der bürgerlichen Herkunft Mariens kein Hindernis für das Glück eurer Ehe erblicken würde; Marie ist den Anforderungen unseres Standes entsprechend erzogen, und ihre Tugenden überwiegen den Mangel eines Wappens Der Seelenadel, Ewald, ist stets der höchste; ihm muß der Geburtsadel nach¬ tehen.“ In Sinnen versunken, verließ der Freiherr das Gemach. Er hatte Marie tets als Adoptivschwester betrachtet, und in dieser Eigenschaft war sie für ihn das Kind geblieben, mit welchem er vor Jahren scherzte und spielte. Jetzt stand ie plötzlich als die herangewachsene, blühende Jungfrau vor ihm; er fragte sich, wie es möglich sei, daß er nicht früher schon diese Verwandlung entdeckt habe. Die Mutter hatte von seinen Augen die Binde genommen; auch er blickte jetzt in diese reine Seele, die mit all ihrem Sinnen und Trachten sich vertrauensvoll ihm hingab. Und diese reine unschulds¬ volle Liebe, von deren Existenz er niemals etwas geahnt hatte, ermutigte ihn. Das Gefühl, um seiner selbst willen geliebt engel¬ zu sein, geliebt von einem edlen reinen Herzen, erfüllte ihn mit Stolz, und dieses Gefühl wirkte umso beseli¬ gender auf ihn, als er sich von all seinen Freunden, von all denjenigen, welchen er Wohltaten erzeigt hatte, verlassen sah, als er die Erfahrung machen mußte, daß seine Freundschaft mißbraucht worden war. Die Unterredung mit seiner Mutter hatte eine volle Stunde in Anspruch ge¬ nommen und inzwischen hatte sich der
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