Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

10 Diebstahl, wenn der Verwalter nicht mit meisterhafter Verstellung denselben vor¬ schützte, war ihm unbegreiflich. Die Kata¬ strophe konnte er durch denselben nicht aufhalten, aber jedenfalls wollte er strenge Untersuchung beantragen und die Bücher, sobald sie sich vorfanden, einer genauen Revision unterwerfen lassen. Diese Revision, mochte sie ausfallen wie sie wollte, änderte freilich das Urteil nicht, welches die Herrschaft Assenborn dem Gläubiger des derzeitigen Freiherrn überlieferte, aber durch sie konnte Ewald vielleicht die Schande, welche dieses Urteil über ihn brachte, mildern. Als die Schloßuhr acht schlug, ließ der Freiherr seine Mutter um eine Unter¬ redung bitten. Die alte Dame empfing den Sohn in einem Anzuge, welchen sie früher nur bei Hoffesten getragen hatte. Eine Robe von chwerer buntgestickter Seide umrauschte sie, ein Diadem von wertvollen Brillanten schmückte ihr ehrwürdiges Haupt. Ewald war betroffen, er wußte im ersten Augenblick den Zweck dieser ge¬ wählten Toilette sich nicht zu erklären. Nie war die Dame ihm so ehrwürdig er¬ schienen, nie hatte er so deutlich in den Zügen der Mutter das bittere Seelen¬ eiden gelesen, als dessen Ursache er sich allein anklagen mußte. „Verzeihung, Mutter!“ sagte er, in¬ dem er die Hand der alten Dame ergriff „ich habe während der vergangenen Nacht 7 eingesehen „Mein Sohn, du sagtest gestern Abend: Was können deine Vorwürfe an dem Geschehenen ändern?“ fiel Frau von Assenborn ihm ruhig ins Wort. „Ich frage dich jetzt, was kann meine Verzei¬ hung ändern? Ich habe dir nie Groll nachgetragen, nur dich bedauert und bitter beklagt, daß du nicht den Ernst, die Charakterfestigkeit und den spar¬ samen Sinn deines Vaters besaßest.“ „Es soll anders werden,“ sagte Ewald „ich bin zur Einsicht gekommen. „Wirst du die Kraft besitzen, diesem Vorsatz auch treu zu bleiben?“ „Gewiß, ich werde es! Die Lehre welche ich in vergangener Nacht erhielt hat einen unvergeßlichen Eindruck auf mich gemacht. Wie viel hast du gelitten meinetwegen, wie viel Sorgen, wie vielen Kummer habe ich deinem Herzen bereitet — Mutter, wenn nicht die Hoffnung „Sei still, mein Sohn, die vergangenen Tage liegen hinter uns. Wozu kann es dienen, daß wir die Sorgen und den Kummer, den sie uns brachten, in der Erinnerung nochmals durchleben? Mögen die Erfahrungen, mit denen sie dich be¬ reicherten, deinen Charakter stählen und den Vorsatz der Umkehr in deiner Seele befestigen. Ewald berichtete seiner Mutter die Er¬ eignisse der verflossenen Nacht, nichtum für seine edle Tat Dank zu ernten, son¬ dern um ihr zu beweisen, daß seine guten Vorsätze sich auf einen guten Grund stützten. Frau v. Assenborn hörte schwei¬ gend zu. Trotzdem das eigene Unglück ihre Seele vollauf beschäftigte, nahm sie doch innigen Anteil an der Schreinerfamilie. In Bezug auf den Diebstahl erklärte sie sich mit der Ansicht Ewalds einverstan¬ den; auch sie hielt dafür, daß eine gericht¬ liche Untersuchung gegen den Verwalter eingeleitet werden müsse. „Ich habe dir vergeben,“ sagte sie am Schlusse der Unterredung, indem sie dem Sohne die Hand bot, „ich will auf die Aufrichtigkeit deiner Sinnesänderung vertrauen und mit Rat und Tat in dem Kampfe, dem du entgegengehst, dir bei¬ stehen. Deine Umkehr wird dir schwer fallen, aber ernster Wille kann jede Schwierigkeit beseitigen. Du sagst, uns blieben vierzigtausend Taler, gut, kaufen wir uns ein kleines Gut am Rhein und suchen wir durch Fleiß und Sparsamkeit den Flecken wieder zu tilgen, der auf unserem Wappen ruht. „So willst du mich begleiten?“ fragte Ewald erfreut. „Gewiß! Glaubst du, ich habe im Ernst daran gedacht, um ein Obdach in diesem Hause zu betteln? Nicht als eine Bett¬ lerin, als die Freifrau von Assenborn will ich das Schloß, den Stammsitz

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