Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

8. nung, das Leben des Kindes zu retten und brachte das eigene Leben „ der Erfullung dieser Hoffnung freudig zum Opfer. Auch Ewald besaß eine Mutter, er wußte, daß sie mit derselben unsaglichen Liebe an ihrem einzigen Kinde hing, und wie lohnte er ihr dafür! Welche Sorgen, welchen Gram hatte er ihrem Herzen bereitet, welcher Kummer, welches Elend stand ihr seinetwegen noch bevor. Qualen der Reue folterten seine Seele, während er neben dem Schreiner einherschritt. Nur noch wenige Stunden blieben ihm bis zu jener Katastrophe, die das Wappen des Freiherrn v. Assen¬ born mit Schimpf und Schande befleckten, er wollte sie benützen. Erreichte er auch in dieser kurzen Frist nichts weiter, als die Verzeihung der Mutter, die er so tief, so bitter gekränkt hatte, so konnte er doch ruhig und mutig der Zukunft entgegen¬ schauen. Im Schlosse nun angelangt, wies der Freiherr der Familie einige Zimmer an, dann eilte er rasch hinauf um seinen Vorsatz unverzüglich auszu¬ führen. Die Freifrau hatte sich bereits zur Ruhe begeben. Ewald wollte den Schlaf der alten Dame nicht stören; vor zehn Uhr fand das Gerichtspersonal aus Köln am Rhein sich nicht ein, um acht Uhr war Frau v. Assenborn munter, bis dahin mußte der Freiherr sich gedulden. Er be¬ auftragte den alten Diener, für die Familie des Schreiners Sorge zu tragen ihr Erfrischungen und Salbe für die Wunden zu reichen und das gerettete Mo¬ biliar in das Schloß schaffen zu lassen. Mitternacht war längst vorbei, der Freiherr welcher, obschon physisch er¬ 700 schöpft, das Bedürfnis des Schlafes nicht ME fühlte, ließ den Verwalter rufen. Der Diener kehrte mit der Meldung zurück daß der Verwalter bereits zu Bette ge¬ gangen sei. Der Freiherr befahl, ihn zu wecken. Eine halbe Stunde verstrich, ehe der Gerufene erschien „Sie ließen mich rufen, Herr Baron, nahm der Verwalter das Wort „ich —7 wünsche zu wissen „Ich verlange die Verwaltungsbücher“ unterbrach der Freiherr ihn „Zu welchem Zweck?“ fragte der Ver¬ walter, dessen Blick nun lauernd auf dem jungen Mann ruhte. „Zu welchem Zweck?“ fuhr Ewald zor¬ nig auf. „Habt Ihr ein Recht, danach zu fragen? Noch bin ich Herr in diesem Schlosse und Ihr seid mein Diener. Der Verwalter zuckte die Achseln, ver¬ achtende Geringschätzung spiegelte sich in dem Blicke, welchen er dem Freiherrn zu¬ warf. „Die Bücher haben zu jeder Stunde Ihnen zur Verfügung gestanden, Herr Baron, Sie hielten es nie der Mühe wert einen Blick hineinzuwerfen, erst heute kurz vor dem Augenblick, in welchem Sie die Herrschaft Ihrem Gläubiger Herrn Löwi abtreten müssen, fällt es Ihnen ein —“ „Wenn Ihr nicht augenblicklich und ohne ein Wort weiter zu verlieren meinem Befehl gehorcht, werde ich kurzen Prozeß mit Euch machen!“ rief der Frei¬ herr, den der Hohn des Untergebenen umsomehr erbitterte, weil er sich sagen mußte, daß derselbe gerecht war. „Ich verlange die Bücher, weigert Euch noch einmal, sie vorzulegen, so lasse ich Euch als des Betruges verdächtig, dem Gericht überliefern. Diese Drohung, deren Verwirklichung bei wiederholter Verweigerung des Gehor¬ sams vorauszusehen war, verfehlte ihren Eindruck nicht, der Verwalter ent¬ fernte sich. Die Rückkehr des Verwalters verzögerte sich auffallend, der Freiherr hatte chon dreimal die Glocke gezogen, es schien fast, als ob das gesamte Dienstpersonal das Schloß verlassen habe. Ewald entschloß sich, hinunterzugehen, um die Ursache dieser Verzögerung zu erforschen. Als er die Tür zum Wohnzimmer des Verwal¬ ters öffnete, sah er den letzteren, von der Dienerschaft umringt, vor einem offenen Schranke stehen. Dieser Schrank, welcher zur Aufbewahrung der Verwaltungs¬ bücher und Dokumente benützt wurde war bis zur Hälfte leer. Der Verwalter wandte sich beim Eintritt seines Herrn

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