Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

94 Asien. Japan. In einem zwischen Japan und Frankreich in der ersten Hälfte 1907 geschlossenen Freundschaftsvertrage erklären beide Staaten, für die Unabhängigkeit und Integrität Chinas einzutreten und verbürgen sich gegenseitig ihren territorialen status quo in Asien. — Am 23. Juli 1906 starb in Tokio plötzlich im Alter von 54 Jahren General Gentaro Kodama, der Chef des Generalstabs der japanischen Armee der Organisator des Sieges im weltgeschichtlichen Ringen Japans und Rußlands um die Vor¬ herrschaft in Ostasien, einer der genialsten Heer¬ führer, der „Moltke“ Japans. Zu seinem Nach¬ folger als Chef des Generalstabs wurde General Oku, einer der großen Sieger im mandschuri¬ schen Feldzuge, ernannt Persien. Am 8. Jänner 1907 starb Schah Muzaffer Eddin. Er war am 25. März 1853 in Teheran geboren und hielt am 7. Juni 1896, fünf Wochen nach der Er¬ mordung seines Vaters Nassr=Eddin seinen feierlichen Einzug in Teheran, um den Thron zu besteigen. Er war der erste konstitutio¬ nelle Herrscher Persiens, der wenige Monate vor seinem Tode —am 10. September 1906 auf die Rechte der unumschränkten Alleinherr¬ schaft verzichtete und seinem Lande eine Konsti¬ tution gegeben hat, auf Grund deren auch die erste Session des persischen Parlaments am 7. Oktober 1906 in Teheran eröffnet wurde. Sic brachte dem Lande vorderhand nicht viel Segen denn zahlreiche innerpolitische Konflikte und Un¬ ruhen störten, besonders unter der Herrschaft des neuen Schah, den ruhigen Genuß der dem Volke gewährten neuen Rechte. Als Nachfolger Schah Muzaffer Eddins bestieg sein ältester, am 21. Juni 1872 geborener Sohn Muhammed Ali Mirza den Thron Persiens und an¬ erkannte auch seinerseits die vom Vater dem Lande verliehene Verfassung. China. Auch im Reiche der Mitte zeigten sich in der Berichtsperiode Ansätze zu einer Kon¬ stitution, aber auch solche zu einer Wiederholung des berüchtigten Boxeraufstandes. Am 22. August 1906 brachte das Reuter=Bureau die Meldung, daß die Kaiserin=Witwe beabsichtige, eine Kon¬ ferenz von hohen Würdenträgern einzuberufen um über die Annahme einer Konstitution zu be¬ raten. Eine weitere Reuter=Meldung vom 2. September besagt, daß der Kaiser ein Edikt erlassen habe, in dem die Einführung eines kon¬ stitutionellen Regierungssystems für den Zeit¬ punkt zugesagt wird, in dem das Volk reif sein wird. Ende Mai 1907 brach in Kwantung — ein Aufstand aus, der sich allmählich auf die ganze Provinz erstreckte und mit dem verhängnis¬ vollen Boxeraufstande aus dem Ende des vori¬ gen und dem Anfange des laufenden Jahr hunderts große Aehnlichkeit hatte, vorläufig aber noch unterdrückt werden konnte. — Am 20. Sep¬ tember 1906 erließ die chinesische Regierung ein vom Kaiser sanktioniertes strenges Verbot des Opiumgenusses. — Im November 1906, Jänner Februar und April 1907 herrschte in einzelnen Provinzen Chinas eine furchtbare Hungersnot die zusammen weit über 10 Millionen Menschen infolge Zerstörung der Ernte durch Ueberschwem mungen im Umkreise von 40.000 Quadrat¬ meilen, Regengüsse 2c. mit dem Tode bedrohte und viele auch hinwegraffte. Die Zahl der im April täglich an Hunger Gestorbenen wird mit etwa 5000 angegeben. Britisch=Indien. Im Mai 1907 brachen in verschiedenen Teilen Britisch=Indiens Umuhen aus, die allgemein zu werden und einen bedenklichen Charakter anzunehmen drohten — sie konnten mit Mühe noch unterdrückt werden. Sunda=Inseln. Am 30. September 1906 kam aus dem Haag die Nachricht, daß nach einer amtlichen Meldung aus Bali sich der Fürst von Tabanan und sein Sohn, der Thron¬ folger, selbst den Tod gegeben haben. Tabanan ist ein Staat auf der Insel Bali, der westlichsten der Kleinen Sunda=Inseln; früher war die ganze Insel in neun kleine, in einem Bundesverhält¬ nisse stehende Reiche geteilt, von denen aber jetzt nur noch sieben, darunter eben Tabanan, be¬ stehen; zwei wurden Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts nach schweren Kämpfen von den Nieder¬ ländern bezwungen und zu Abteilungen der nie¬ derländischen Residentschaft auf Java gemacht. Aber auch die übrigen Reiche haben im Laufe der folgenden Jahre viel von ihrer Selbständigkeit an die niederländische Regierung abtreten müssen trotzdem sie sich verzweifelt gegen die holländische Oberhoheit auflehnen. Der Fürst von Tabanan und sein Sohn mögen nun vielleicht den Tod der Unterwerfung, der sie nicht mehr entgehen konnten, vorgezogen haben. Tabanan zählt etwa 200.000 Einwohner, darunter kaum 200 Euro¬ päer und einige tausend Araber.

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