88 vierzehn von ihm gebaute Ballons bewiesen, ein Anhänger des Prinzips: „Leichter als die Luft.“ Er hatte jahrelang gearbeitet, wiederholt sein Leben in Gefahr gebracht und doch nicht einen ganzen Erfolg mit dem Ballon zu erzielen ver¬ mocht. An dem Aéroplan hatte Santos=Dumont kaum ein Jahr gearbeitet und am 23. Oktober hatte er bereits mit dem Prinzip „Schwerer als die Luft“ ein Resultat erzielt, das alle Keime künftiger Entwicklung in sich trägt. Auch nach dem Versuche im Bois du Boulogne wird keiner der wissenschaftlich vorgebildeten Aèrodynamiker das Problem des lenkbaren, rein mechanischen Flugschiffes als definitiv gelöst betrachten. Aber es ist für eine theoretisch seit langem feststehende Erkenntnis sehr viel gewonnen, daß ohne jede Geheimniskrämerei ein völlig einwandfreies Ex¬ periment größeren Stils zur Bekräftigung der Theorie vorliegt. Es handelte sich nicht mehr um die einst ungläubig belächelten Modelle mit Gummischnüren, sondern um einen wirklichen Drachenflieger, der mit einer Maschine von fünfzig Pferdekräften und mit einem Menschen sich durch motorische Kraft in die Luft erhoben hat. Seit Monaten hatte Santos=Dumont, zu¬ meist auf dem Sportplatze Bagatelle, mit seinem Flugapparat experimentiert, an dem er immer wieder Veränderungen vornahm, bis er endlich die Sachverständigen zu einer entscheidenden Probe einladen konnte. Die am 23. Oktober in Verwendung gestandene Flugmaschine hatte in ihrer damaligen Gestalt eine Breite von 12 Meter bei einer Länge von 10 Meter. Das Mittelstück des Apparats bildete jene „poutre armée“ ein schmales Gerüst aus Bambus, das auch bei seinen „lenkbaren Ballons“ Santos=Dumont anstatt einer Gondel und einer Plattform für den Motor benützte. Dieser armierte Tragbalken war vollständig mit steifer Leinwand überzogen. Rechts und links an diesen Körper schlossen sich die Drachenflächen an. Sie waren mit dem Tragbalken in steifer Verbindung und bildeten ein sehr weit offenes lateinisches V. Jeder dieser Drachen war aus je drei großen Zellen, den bekannten Hargrave= oder Kistendrachen, zusam¬ mengesetzt. Die Seiten der vorn und rückwärts offenen Zellen waren gleichfalls leichte, mit steifer Leinwand überzogene Gestelle. Am rück¬ wärtigen Teile des Trägers befand sich die Steuerschraube aus Aluminium, dieselbe, die Santos=Dumont bei seinem letzten Ballon ver¬ wendet hatte. Die Schraube wurde durch einen fünfzigpferdigen, gleichfalls rückwärts stehenden Benzinmotor angetrieben. Die ganze Bedie¬ nungsmaschinerie für den Motor, dann der Me¬ chanismus zur Betätigung der Steuerung befand sich an dem engen Plätze, den vorn an der „poutre armée“ der Erfinder für sich selbst vorgesehen hatte. Das „Steuerruder“ in einer Entfernung von acht Meter vom Hauptkörper an¬ gebracht, bestand ebenfalls aus einer Hargrave¬ schen Zelle. Der Apparat, der 300 Kilogramm mit dem Erfinder 350 Kilogramm — wog, ruhte auf zwei Pneumatikrädern auf dem Boden Nachdem er sich in seinen „Korb“ begeben, warf Santos=Dumont zunächst den Motor an, der die Schraube in Bewegung setzte. Der Apparat rollte nun ungefähr 200 Meter weit auf dem Erdboden Nach diesem Anlaufe dirigierte Santos=Dumont das Ruder nach oben, und nun sahen die ge¬ ladenen Gäste und die vielen Neugierigen,die sich eingefunden hatten, wie die Räder die Erde verließen und der Apparat sich in die Höhe hob. Konstant etwa drei Meter über der Erde schwe¬ bend, legte die Flugmaschine in horizontaler Richtung ungefähr 60 Meter zurück. Santos¬ Dumont dirigierte sodann das Ruder nach unten Anscheinend hatte er die Einstellung des Ruders nicht genügend berechnet, denn die Flugmaschine senkte sich zu rasch und der Apparat fiel heftig zu Boden. Der linke Flügel und das Steuer er¬ litten dabei Beschädigungen. Santos=Dumont selbst blieb ganz unversehrt und nahm hocherfreut die Komplimente und Beglückwünschungen der Anwesenden entgegen. Am 12. Februar 1907 starb zu Rom Prin¬ zessin Christina Bonaparte, Witwe nach dem Prinzen Napoleon Karl —einem Neffen Napoleon III. — im 65. Lebensjahre. Am 20. Februar 1907 starb zu Paris der am 28. September 1852 dortsebst geborene Che¬ miker Henry Moissan, der erste Erzeuger künstlicher Diamanten. —In der Nacht zum 12. März 1907 starb zu Paris der ehemalige Präsident der französischen Republik Casimir Perier. Er war am 8. No¬ vember 1847 in Paris, ein Enkel des berühmten Ministers der Juli=Monarchie, geboren und be¬ kleidete die Würde eines Präsidenten der Repu¬ blik vom 27. Juni 1894 bis 15. Jänner 1895, an welchem Tage er seine Demission gab. Am 18. März 1907 verschied zu Paris der be¬
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