Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

86 vollständig eingeäschert, dann aber in den Jahren 1750 bis 1762 nach den Plänen des Hamburger Architekten Samin wieder aufgebaut worden. Am 16. Juni 1907 fand in Dresden die Ent¬ hüllung des vom Berliner Bildhauer Hosaeus geschaffenen Mozartdenkmals statt Am 30. Juni 1906 starb in München der königl. bayerische Maschinendirektor Karl Lau¬ tenschläger, einer der größten Bühnen¬ techniker der Gegenwart, der Wiedererwecker der Shakespeare=Bühne und der Erfinder der Dreh¬ bühne. — Am 14. Jänner 1907 starb in Mün¬ chen der gewesene königl. bayerische General¬ intendant Karl Freiherr v. Perfall. Er war am 29. Jänner 1824 in München ge¬ boren, 1864 zum königl. bayerischen Hofmusik¬ intendanten ernannt, 1867 zur Leitung des Mün¬ chener Hoftheaters berufen, 1869 zum wirklichen Hoftheater=, 1872 zum General=Intendanten er¬ nannt worden. 1893 trat er von dieser Stellung zurück und wurde darauf Intendant, später Ge¬ neral=Intendant der königl. Hofmusik in Mün¬ chen, welche Stelle er einige Monate vor seinem Tode aufgab, um in den Ruhestand zu treten. Er komponierte die Märchen (Chorwerke) „Dorn¬ röschen“, „Undine“ und „Rübezahl“, die Opern „Sakuntala“, „Das Konterfei“, „Raimondin“ („Melusine“) und „Junker Heinz“, die Festspiele „Barbarossa“, „Prinz Karneval“ und „Der Friede“. — Am 25. März 1907 starb zu Wies¬ baden der am 16. Dezember 1836 zu Riga in Livland geborene Prof. Ernst v. Berg¬ mann, einer der größten Chirurgen seiner Zeit. Italien. Anfangs August 1906 sank der italienische Auswandererdampfer „Sirio“ mit über 800 Per¬ sonen an Bord in den Bajos Hermigos beim Cap de Palos. Ueber 300 Personen fanden dabei ihren Tod. Im Monate Februar 1907 wurde in Venedig eine Gedenkfeier an den 1707 in Venedig ge¬ borenen unsterblichen italienischen Lustspieldichter Carlo Goldoni abgehalten. Am 2. September 1906 starb in Parella bei Ivrea der 1847 in Parella geborene Dichter Giuseppe Giacosa, einer der namhaftesten Dramatiker Italiens. — Am 9. Oktober ver¬ schied in Rom die einst hochgefeierte geniale Tragödin Adelaide Ristori, verwitwete Marchesa Copranica del Grillo, die Repräsentantin eines verschwundenen großen Stils des italienischen Theaters. Sie war am 29. Jänner 1822 in Cividale (Friaul) geboren. —Am 16. Februar 1907 starb zu Bologna Italiens Freiheitssänger Giosue Carducci der bedeutendste italienische lyrische Dichter der Gegenwart. Er war unweit der Marmorberge von Carrara bei Pietrasanta am 27. Juli 1836 geboren worden. Frankreich. Das im März 1906 gebildete Ministerium Clemenceau, genannt Sarrien, verlor am 17. Ok¬ tober 1906 seinen nominellen Chef Sarrien, welcher krankheitshalber zurücktrat. Clemenceau trat nun auch formell an die Spitze des personell teilweise modifizierten (so übernahm u. a. Pichon an Stelle Bourgeois das Mini¬ sterium des Aeußern, General Picquart an Stelle Etiennes jenes des Krieges) Mini¬ steriums, dessen Seele er seit jeher gewesen war. Mit Energie in der Sache und einer gewissen Milde in der Form führte er die aus dem Tren¬ nungsgesetze sich ergebenden weiteren legislatori¬ schen und exekutiven Maßnahmen durch, und als die Kurie alle auf Herstellung eines modus vivendi mit dem Klerus abzielenden Vorschläge und Maßregeln der Regierung ablehnte, bezw. durchkreuzte, scheute Clemenceau — nachdem am 11. Dezember 1906 das Konkordat effektiv er¬ loschen war — auch davor nicht zurück, den päpst¬ lichen Vertreter, Monsignore Montagnini, welcher durch Vermittlung der Botschaften der Kurie an das französische Episkopat dazu beige¬ tragen hatte, den Konflikt zwischen der Regie¬ rung und dem eigentlich zur Nachgiebigkeit ge¬ neigten französischen Klerus zu verschärfen, am 12 Dezember 1906 aus Frankreich auszuweisen und dessen Papiere zu beschlagnahmen. Nicht ohne Zusammenhang mit dem schneidigen Auf¬ treten der Regierung gegen den Klerikalismus ist wohl eine Verlegenheit, die dem Ministerium Clemenceau im Mai und Juni 1907 in den süd¬ lichen Weinbaugegenden des Landes erwachsen ist die es aber ebenfalls mit Energie und kaltem Blute zu bezwingen wußte. Eine durch Mißernte und die dabei von so manchen Weinhändlern schwungvoll betriebene Weinfälschung entstandene Weinbaukrise führte bei den Winzern des Südens — denen die vom Ministerium im legislatori¬ schen Wege durch Vorlage eines Gesetzes gegen

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