Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

76 Am 9. Dezember 1906 beging Wien in fest¬ licher Weise und unter der lebhaftesten Teil¬ nahme der gesamten Bevölkerung das Jubiläum des 25jährigen Bestands eines der edelsten, segens¬ reichsten Institutionen, die Menschenliebe und Opfermut je geschaffen, einer Institution, die seit ihrem Bestande Hunderttausenden Hilfe und Rettung gebracht, die mustergebend werden sollte für so manche andere Stadt des In= und Aus¬ landes: der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft. Der offiziellen Feier, der eine Feier intimen Charakters, die dem Andenken des am 23. August 1894 frei¬ willig aus dem Leben geschiedenen Schöpfers der Gesellschaft, des edlen Menschenfreundes Jaro¬ mir Freiherrn v. Mundy gewidmet war, vorausging, wohnten Vertreter des Hofes, der Regierung, des Landes, der Stadt, der Aerzteschaft, Delegierte von nah und fern bei. Die Stadt Wien verlieh aus diesem Anlasse der Rettungsgesellschaft die doppeltgroße goldene Salvatormedaille. * * * Ein schweres Unglück traf am 22. Februar 1907 die österreichische Handelsmarine. An diesem Tage scheiterte und sank auf der Höhe der Insel Kreta bei Kap Elaphonissi bei heftigem Schirokko=Sturme der Dampfer „Imperatrix“, eines der größten und stolzesten Schiffe des „Oesterreichischen Lloyd“. An Bord befanden sich 33 Passagiere, 120 Matrosen, 5 Maschinisten, 5 Offiziere, ein Arzt und der Kapitän Ghezza. Sämtliche Passagiere und auch alle Schiffsoffi¬ ziere und Chargen wurden gerettet, 40 Personen, davon 32 Mann der Besatzung, die aus Oester¬ reich stammen, und acht arabische Heizer er¬ tranken. An der Rettung der Schiffbrüchigen beteiligten sich neben dem Lloyddampfer „Castore“ russische, französische, italienische und griechische Kriegsschiffe, die auf Kreta stationiert waren. * * * Auf dem Gebiete des Kunstlebens herrschte in der Berichtsperiode lebhafte Bewegung. Für waren zwei Ereignisse von die musikalische Welt besonderer Bedeutung: die Demission des Direk¬ tors des Wiener Hofoperntheaters Gustav Mah¬ ler und die Pensionierung des Direktors des Wiener Konservatoriums Richard v. Perger. Was Gustav Mahler anbelangt, so waren schon lange Krisengerüchte im Umlauf, aber erst im Mai fanden diese Krisengerüchte ihre offizielle Bestätigung. Mahler hatte zur Freude so mancher, die sich mit seiner künstlerischen und administra¬ tiven Leitung der Hofoper nicht befreunden konnten, zum lebhaften Bedauern anderer, die ihn als Dirigenten nach Gebühr hochschätzten, seine Demission gegeben. Sein Nachfolger sollte Felix Mottl werden, aber der Prinzregent von Bayern lehnte das Demissionsgesuch Mottls ab, ernannte ihn zum Direktor der Münchener Hof¬ oper und verlieh ihm den Titel eines Geheimen Hofrats. So stand bis zum Schlusse dieses Be¬ richtes Gustav Mahler noch — wenn auch nur mehr als Demissionär — an der Spitze der Wiener Hofoper und nach seinem Nachfolger wurde weiter gesucht. Weniger tief eingreifend in das Wiener Musikleben war die bereits im Dezember 1905 gesundheitshalber angesuchte und nach Schluß des Schuljahres 1905/6 neuerdings erbetene Pen¬ sionierung des Direktors des Konservatoriums Richard v. Perger. Perger hat mit Ernst und Ausdauer die ihm gewordene Aufgabe erfüllt, aber besonders markant ist er im Musikleben Wiens nie hervorgetreten. Als sein Nachfolger wurde Herr Wilhelm Popp, Direktor der Hoch¬ schule für Musik in Mannheim, berufen. Es ist in den letzten Jahren eine wahre Denk¬ malwut über die Wiener gekommen, und auch die Epoche, die unser Bericht umfaßt, war Zeugin einer stattlichen Reihe von Denkmal¬ enthüllungen in der österreichischen Haupt= und Residenzstadt Wien. Am 29. September 1906 wurde am Deutschmeisterplatze das Deutsch¬ meister=Denkmal, ein Werk des Bild¬ hauers Johannes Benk, enthüllt. Auf terassiertem Aufbau erhebt sich ein abgestumpfter Obelisk, der die Hauptfigur, einen frischen, kräftigen, echt wienerischen Soldaten, den Deutschmeister, der mit flatternder Fahne vorstürmt, trägt. Der architektonisch glücklich profilierte und abgestufte Sockel bietet Raum für die Nebengestalten: die den Lorbeerkranz zu dem jungen Helden hinauf¬ reichende Vindobona und die beiden allegorisch bedeutungsvollen lebendig realistisch durchgeführ¬ ten Seitengruppen „Opfermut“ und „Kamerad¬ schaft“, sowie für zwei Reliefs: „Schlacht bei Zenta“ und „Schlacht bei Kolin“. Auf der Rückseite des Denkmals ist der Doppeladler und ein Doppelmedaillon, welches die Porträts des ersten Chefs des Deutschmeisterregiments und

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