72 anstalt möglich gewesen wäre, nämlich die Zu¬ lassung von Ersatzinstituten, weniger im Inter¬ esse der Privatbeamtenschaft selbst, als im In¬ teresse der allgemeinen Pensionsanstalt, respektive zum Schutze der „versicherungstechnischen Grund¬ lagen dieser gänzlich auf die eigenen Mittel an¬ gewiesenen“ Anstalt tunlichst zurückrevidieren zu wollen, so daß es fraglich ist, ob die mit dem Gesetze der Privatbeamtenschaft zweifellos zu¬ gedachte Wohltat von dieser auch als solche emp¬ funden werden wird, und zwar gilt dies nicht nur von solchen, welche sich aus parteipolitischen Gründen seit jeher gegen das bezogene Gesetz ablehnend verhalten haben, weil sie nur in einer alle — geistige und manuelle — Arbeiter um¬ fassenden Pensionsversicherung das sozialpolitische Remedium erblicken. Ehe wir dazu übergehen, zu schildern, wie sich teils im Zusammenhange mit den Be¬ ziebungen zu Zisleithanien, teils ungarisch¬ innerpolitisch die Verhältnisse in Transleitha¬ nien gestaltet haben, müssen wir hier noch des schweren Verlustes gedenken, den das deutsche Volk in Oesterreich durch den im Juli 1906 erfolgten Rücktritt des Grafen Oswald Thun=Salm von der Führerschaft des ver¬ fassungstreuen Großgrundbesitzes in Böhmen er¬ litten hat. Und dieser Verlust ist umso empfind¬ licher, als dieser Politiker zu jenen Mitgliedern des deutschen Hochadels gehörte, die mit den bürgerlichen und bäuerlichen Volksgenossen in ganz besonderem Maße durch das Band der Ge¬ meinschaft verbunden sind. Auf böhmischem Boden zählte Graf Oswald Thun=Salm zu den erprobtesten und opferfreudigsten Schützern des deutschen Bodens und Landes! In Ungarn sind die Flitterwochen des Kabi¬ netts Wekerle=Kossuth längst vorüber. Im Kampfe mit den andersgestalteten Interessen Zisleithaniens, im Kampfe mit den nichtmagyari¬ schen Nationen in den Ländern der ungarischen Krone, im Kampfe insbesondere mit Kroaten und Rumänen, im Kampfe endlich mit so manchen Mitgliedern der Koalitionsparteien, trägt das Kabinett, das seinerzeit die Nachfolger¬ schaft auf das Ministerium Fejervary II. er¬ trotzt hatte, schwer unter der Last der Regie¬ rungssorgen. Nicht nur, daß die Verhandlungen über den Ausgleich mit Zisleithanien nur lang¬ sam vom Flecke rücken, nicht nur, daß die Frage dieser — der sogenannten Verfassungsgarantien stationär bleibt, sind schwer lösbaren Aufgabe — dem Ministerium Wekerle=Kossuth auch sonst noch viele andere Schwierigkeiten erwachsen. Eine der peinlichsten Affären, mit welchen sich die Koali¬ tionsregierung abzufinden hatte, war die vorher bereits angedeutete Affäre Polonyi, welche schließlich zum Sturze dieses Mannes, eines der trotzigsten und turbulentesten Mitglieder der seinerzeitigen Opposition gegen das Ministerium Fejervary, führte. Es war am 12. Jänner 1907, als der ehemalige Bürgermeister von Budapest, Johann Halmos, eine Erklärung veröffent¬ lichte, worin er den Justizminister des Mini¬ steriums Wekerle=Kossuth, Geza Polonyi, klipp und klar bezichtigte, daß er — Polonyi — seine Eigenschaft als Mitglied des Budapester Munizipalausschusses zur Erwerbung eines Vermögens benützt habe, daß er in mehreren Fällen in der selben Angelegenheit als Ad¬ vokat und zugleich als Mitglied des Munizipal¬ ausschusses gewirkt, entweder das Wort ergriffen oder aber die Angelegenheit vermittelt habe; es sei vorgekommen, daß Polonyi in der Angelegen¬ heit einer Unternehmung ihm, Halmos, vormit¬ tags ein umfangreiches Memorandum, ohne es zu signieren, unterbreitete, und nachmittags oder Tags darauf in derselben Angelegenheit in der Generalversammlung das Wort ergriff. In der kritischesten Lage der Hauptstadt, als man im engen Kreise über den nationalen Kampf beriet, habe Polonyi, in derselben Konferenz, über die Verlegung einer Fabrik gesprochen. — Polonyi bezeichnete zwar diese Angaben Halmos' als grundlose Verdächtigungen, man bewog Halmos zu einer Art Widerruf, die Unabhängigkeits¬ partei suchte ihr Mitglied, die Regierung ihren Justizminister zu decken, aber die Anklagen gegen Polonyi mehrten sich, der Abgeordnete Zoltan Lengyel trat mit neuen Beschuldigungen gegen Polonyi hervor, dessen politische Beziehun¬ gen zur Baronin Bela Schönberger (Rosa Waller¬ stein), die er zu Kundschafterdiensten in Wien verwendete, kamen zutage, und schließlich sah sich die Regierung und die Unabhängigkeits¬ partei, besonders dem Drucke des Ministers des Innern, Grafen Julius Andrassy, sol¬ gend, genötigt, Polonyi fallen zu lassen. Und so mußte dieser, mehr gezwungen als freiwillig, seine Demission geben; dieselbe wurde angenom men, und schon am 2. Februar legte der neu¬
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