56 dazu höhnisch eine Stimme; Hans glaubte die Posaune des jüngsten Ge¬ richts zu hören, so schrak er zusammen, als er jetzt hinter sich den roten Fritz beim vollen Mondlicht erkannte, aber schnell faßte er sich; mit einem gewaltigen Ruck riß er sich los, daß der Förster einige Schritt zurückflog, über einen Ast stol¬ perte und hinschlug. Im Nu war Hans „ im Boot und entfernte es mit kraftigem Ruderschlag vom Land; erst als er schon in beträchtlicher Entfernung war, pfiff ihm eine Kugel nach, aber sie schlug un¬ chädlich ins Wasser. Dortchen bekam ihre Maie, aber mit Schrecken und Angst erwartete der Bursche den anbrechenden Tag der Verantwortung, zu der er bald genug gezogen wurde, denn schon am an¬ deren Morgen hatten die Steinhuder das Schauspiel daß Meister Köhlers „ Obergeselle von vier graflichen Soldaten geschlossen nach Hagenburg transportiert wurde. Hinterher hinkte der rote Förster der von seinem Fall ein lahmes Bein davongetragen hatte, und sorgte dafür daß jedermann es im Flecken bald genug wußte: jener ei beim Maienholen ab¬ gefaßt worden und habe sich dabei an ihm, dem Förster vergriffen. Und das war ein schweres Vergehen, denn das harte Forstgesetz vom Jahre 1741, wie es in Lippe, Waldech und den umliegenden Ländern bestand, sagte ausdrücklich „Wer sich an einem Jäger im Walde ver¬ greift, der soll die Hand verlieren!"*) Dortchen schwamm in Tränen, die brave Hausfrau ging trostlos in der Stube auf und ab, und auch dem Meister Hangörg wollte weder Pfeife noch Prise schmecken, da er ebensowenig Rat wußte; in dieser Stimmung traf der würdige Meister Köhler die Familie Wambach, der sogleich nach der Verhaftung seines Obergesellen zu ihnen geeilt war. „Das ist eine gar schlimme Geschichte!“ seufzte der Alte kopfschüttelnd, als er sah, daß Meister Wambach von dem Ge¬ schehenen bereits unterrichtet war, „eine sehr schlimme Sache, aber unsere Zunft *) Historisch. hat die Ehrenpflicht, alles zu tun, um ihr bestes Glied vor der Strafe zu retten. Du weißt's noch gar nicht Hangörg, der Obergesell' hat sein Meisterstück mir gestern übergeben, ein Werk, wie's im ganzen Land noch nicht zustande ge¬ bracht worden ist! Weißt du, was der Teufelskerl von einem Weber fertig ge¬ bracht hat? Nun, du kannst's ja nicht ahnen, aber das magst du wissen, Hans hat mit Ehren sein Wort gelöst und dir ein Meisterstück geliefert, wie's bei uns zu Lande noch kein Weber gemacht hat: ein Hemd ohne jede Naht hat er in den insamen Abendstunden gewebt!“ „Was hat er gewebt?“ fuhren die Mit¬ glieder der Familie Wambach zu gleicher Zeit heraus, während der Alte das Bün¬ del, welches er in der Hand trug, auf¬ schnürte, „ein Hemd ohne Naht, ja, wie ist denn das möglich?“ „Ja, ja,“ lachte dieser, „sieh' her Bruder was du für einen Schwiegersohn bekommst, ein Hemd ohne Naht hat er gewebt, sieh' hier die Achselstücke, die Rute unter dem Arm, sogar die Knopf¬ löcher, alles mit dem Weberschiffchen gewoben, ohne einen Nadelstich!“ Meister Wambach wußte nicht, was er sagen sollte vor Verwunderung, aber es war in der Tat so, wie Meister Köhler gesagt hatte; das Hemd, das da vor ihm auf dem Tisch lag, war ohne Naht, ganz und gar gewebt! „Ja, Gevatter!“ sagte er endlich, als er sich etwas von seinem Erstaunen er¬ holt hatte, „ja, du hast recht, dein Ober¬ geselle hat meine Bedingung er¬ * ullt, er hat sich seine Braut redlich ver¬ dient! Aber nun sag', wie ist dem Bur¬ chen zu helfen? „Ich habe es mir so gedacht!“ ver¬ setzte Köhler, „wir Meister von der Lade ziehen mit unseren Gewerkszeichen nach Hagenburg, um seine Begnadigung beim Grafen zu erwirken. Unser gnädiger Herr war ja stets ein reger Förderer der Gewerbe im Lande, er wird gegen das würdigste Glied der Steinhuder Weber¬ innung diesmal Gnade für Recht er¬ gehen lassen! Bist du derselben Meinung
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