Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

46 selbst hast du in deiner Verschlossenheit nie gesagt, daß ich dir etwas wert sei. Dein Bruder aber lag mir in den Ohren. Er war so gut, so freundlich allzeit zu mir . . . dann das Zureden der Eltern ... die Leute . .. und du bliebst still ... da habe ich ihm das Glück in sein Haus gebracht. Da ward ich seine Frau! Aber der Himmel hat die Ehe nicht ge¬ segnet. Kinder, die er so liebt, habe ich ihm nicht geschenkt!“ Ein heimliches Schluchzen drang an das Ohr des Mannes. „Hast du ihn geliebt, Annemarie? Hast du es getan?“ „Frage heute nicht mehr! Er ist mein Mann!“ „Hast du es?“ Es klang flehend und scharf zugleich. Ein zwingender Ton. „Ich habe dich nie danach gefragt ... heute gib mir Antwort. Stand ein anderes Bild vor dir, da du sein Weib wurdest, da du ihm alles gabst?“ „Bartels! Warum quälst du mich! Ein anderes Bild? Jal Ja!“ Sie hob den Kopf und ein tiefer Blick streifte den Mann an ihrer Seite. Dann senkte sie das Gesicht erglühend nieder. Er aber stieß einen leichten Schrei aus. Fester noch umschlang er sie. „Sünde gegen Sünde, Annemarie! Deine Seele ist immer mein gewesen! Ich wußte es. Gestohlen bist du mir worden, zerschlagen hat man mir mein Glück, arm mich gemacht . . . arm und doch reich! Denn du gehörst noch immer mir! Und geht's mir eines Tages an's Leben, Mann gegen Mann . . muß ich die Freiheit lassen: ich gehe in den Tod oder hinter Mauern und weiß, daß keine heißere Tränen weint denn du! Er sprang auf. Er schüttelte sich wie ein Tier, das aufgepeitscht sich seinen Quälern stellen will. Ihre Augen hingen fest an ihm. „Sei doch nicht so wild, Bartels! Ich bitte dich!“ Er aber riß sie an dem einen Arm hoch und dann bat er sie. Seine Stimme klang plötzlich wieder weich und ein¬ schmeichelnd: „Nicht hier, nicht an der Straße Komm, wir wollen ein Stück zusammen gehen. Wir haben ja eine Richtung!“ Er hatte seinen Arm um ihren Hals ge¬ schlungen und sie wehrte ihm nicht mehr. So führte er sie seitlich einen Pfad, der durch Jungwald neben der Straße ich fast in gleicher Linie zog. Einmal riß seitlich der Wald auf. Ueber abendlich angehauchte Waldberge ging weit das Auge. Da standen sie still und horchten mit schweren Atemzügen hinaus in die Ferne. Und auf einmal zuckten beide zu¬ ammen. In mächtigen, weit hinaus¬ „ schallenden Tonen drang der wilde Brunstschrei eines Hirsches durch die hor¬ chende Stille. Fester hielt er das Weib in seinen Armen. Als zittere der Ur¬ schrei der Natur in ihnen beiden nach. Sein Blick suchte den ihren, daß sie sich abwandte. „Und du liebst mich doch, Annemarie!“ Bebend blieb sie die Antwort schuldig. Da stieß er einen jauchzenden Schrei aus, der sich im Widerhall von Berg zu Berg weiter pflanzte. Und dann sah er sie mit leuchtenden Augen an. Und pur¬ purübergossen grüßten ihre Augen die seinen. Da hob er sie kraftvoll auf den Armen empor und trug sie wie ein Sieger durch den Wald während die schwebenden Abendnebel sich immer tiefer „„ über Berge und Taler senkten. Es war um die achte Morgenstunde des nächsten Tages. Annemarie war im Ziegenstall beschäftigt, als plötzlich ihr Mann über den Hof geeilt kam. Sein Gesicht trug alle Zeichen höchsten Schreckens. Als sein Schatten in den Stall fiel, da schrak das Weib auf. Erd¬ fahl, wie unter einer Schuld sich beu¬ gend, schien sie demütig zu erwarten, was der über sie beschlossen, der als Richter sich ihr vielleicht jetzt nahte. Doch der Mann blieb an der Stalltür tehen. Er rang sichtlich nach Atem. Dann stieß er hervor und seine Stimme zitterte in verhaltener Trauer: „Annemarie! Fasse dich! Diese Nacht ... soeben wird es mir gemeldet * * hat man Bartels beim Auswirken eines

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