Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

40 nicht zu brechen. Sie wollte lieber sterben, als dem Geliebten untreu werden. Im Stillen gelobte sie sich, nie das Weib eines anderen Mannes zu werden und bis zum Tode Lorensen zu lieben. In chwerem Leid und tiefer Trauer ver¬ gingen der „Rose von Sylt“, welche immer bleicher wurde und sichtlich hin¬ welkte, die Tage und Wochen. So kam das heilige Pfingstfest heran, das von der Jugend der Insel mit Spiel und Tanz gefeiert wurde. Die schöne Inge durfte sich nicht ausschließen, da ihre Eltern es wünschten. Mit wider¬ strebendem Herzen folgte sie ihnen in den Tanzsaal, wo sich die Burschen und Mädchen in fröhlichem Kreise drehten, während die älteren Männer und Frauen an den Tischen saßen und die eben ein¬ getroffenen freudigen Nachrichten be¬ sprachen. Ein Waffenstillstand war zwischen den kriegführenden Mächten ge¬ schlossen worden, und der nahe Friede ließ sich kaum noch bezweifeln. Die Aus¬ sicht auf das bevorstehende Ende des blutigen Kampfes und vor allem die Hoffnung auf die Befreiung von der dänischen Herrschaft erhöhte natürlich die allgemeine Festeslust. Man trank voll Begeisterung auf den Sieg der deutschen Sache, auf das Gedeihen des gemein¬ samen Vaterlandes und auf das Wohl aller treuen Friesen. Mitten in dem Jubel erhob sich der patriotische Kapitän „ Moller, der unter seinen Landsleuten ein großes Ansehen genoß, und ermahnte die Anwesenden, den wichtigen Augen¬ blick zur Wahrung ihrer Rechte und Frei¬ heit zu benutzen, „und jetzt oder nie“ sagte der energische Mann, „ist der Augenblick gekommen, um unsere Liebe zum deutschen Vaterlande zu betätigen, umfür immer das Joch der Fremden abzuschütteln. Dazu bedarf es aber einer offenen Erklärung, daß wir Deutsche sind und bleiben wollen, damit die Diplo¬ maten bei ihren Verhandlungen die Insel Sylt und ihre Bewohner nicht ver¬ gessen und ihre Pflicht tun. Wir wollen zu diesem Zweck eine Petition aufsetzen, worin wir unsere Wünsche aussprechen und unsere Verbindung mit dem übrigen Deutschland verlangen, zugleich aber eine Deputation an den Minister Otto von Bismarck=Schönhausen in Berlin und den Präsidenten von Zedlitz abschicken, damit diese sich unserer annehmen und unsere Ansprüche vertreten. Dieser Vorschlag wurde mit dem größten Beifall aufgenommen, obgleich sich keiner der Anwesenden die damit verbundene Gefahr verschwieg, da vor¬ läufig noch immer die Dänen auf der Insel herrschten. Alles drängte sich her¬ bei, um die schnell entworfene Petition zu unterschreiben, und einige kühne „ Manner, an deren Spitze der patriotische Schiffskapitän Möller stand, erklärten sich sofort bereit, die gefährliche Mission zu übernehmen. Da die Verhandlungen über diese wichtige Angelegenheit öffentlich statt¬ fanden, so konnten sie den dänischen Be¬ hörden nicht verborgen bleiben. Auf ihre Veranlassung erschien von neuem der be¬ rüchtigte Leutnant Uldahl mit fünfzig Soldaten noch vor Ablauf des Waffen¬ stillstandes, um an den Urhebern dieser Demonstration Rache zu nehmen. Gleich¬ zeitig landete der gefürchtete Kapitän Hammer mit zwei Dampfschiffen, sechs Kanonenbooten und Kreuzkuttern in der Nacht bei Munkmarschen zur Unter¬ stützung des Leutnants Uldahl. Als der Morgen graute, erblickten die erschrockenen Bewohner von Keitum alle Ausgänge des Dorfes von den dänischen Soldaten besetzt. Jetzt begann eine Schreckensherrschaft, die aller Beschrei¬ bung spottete. Die ganze Insel Sylt glich einem großen Gefängnisse; sämt¬ liche Fahrzeuge, Schifferboote und Fischerkähne, die zum Lebensunterhalt unentbehrlich waren, wurden mit Be¬ schlag belegt und nach dem „Lister Königshafen“ fortgeschleppt, die Leucht¬ feuer ausgelöscht, Tonnen und Baken, alle Zeichen weggenommen, um die Ver¬ bindung mit dem festen Land unmöglich zu machen und jeden Verkehr mit den Deutschen zu hindern. Kein Mensch durfte ohne Erlaubnis das Dorf ver¬ lassen, selbst die Frauen nicht einmal die

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