Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

38 2. Die Rettung. Die Flucht Lorensens und mehrerer anderer Konskribierten blieb nicht ver¬ borgen und steigerte nur noch die Wut ihrer dänischen Verfolger. Um sich an ihnen zu rächen und womöglich sie zur Rückkehr zu zwingen, faßte Leutnant Uldahl den teuflischen Plan, ihre auf der Insel zurückgelassenen Frauen zu ver¬ haften. Dasselbe Los traf auch die schöne Inge Möller, „die Rose von Sylt“, auf welcher der Verdacht ruhte, den besonders verhaßten Lorensen durch ihre Dazwischenkunft gerettet zu haben, was die zu seiner Gefangennehmung ab¬ geschickten Söldner bestätigten. Scho¬ nungslos, ohne Rücksicht auf ihr Ge¬ schlecht und auf ihre Jugend, wurde die „Rose von Sylt“ aus den Armen ihrer entsetzten Eltern gerissen und in das Wachlokal der dänischen Besatzung ge¬ schleppt wo sie mit den übrigen Frauen der Flüchtlinge der Brutalität einer rohen, meist betrunkenen Soldateska aus¬ gesetzt war. Ein Schrei des Unwillens erhob sich auf der ganzen Insel gegen eine ebenso ungesetzliche als jedes Gefühl empörende S Gewalttat, aber die Männer fühlten sich zu schwach gegen die bewaffnete Ueber¬ macht der Dänen und mußten knirschend solchen Frevel dulden. Nicht so die Weiber von Sylt, welche sich besonders durch eine derartige unerhörte Behand¬ lung ihres Geschlechtes verletzt fühlten. Eine Versammlung ehrwürdiger Ma¬ tronen begab sich in feierlichem Zuge, an¬ getan mit ihren schwarzen Sonntags¬ kleidern, zu demdänischen Leutnant Uldahl, um ihm seine Ungerechtigkeit vorzustellen und die Freilassung der Ge¬ fangenen von ihm im Namen der Menschlichkeit zu fordern. Weder ihre Bitten, noch ihre Klagen und Tränen vermochten den harten Sinn des Kerker¬ meisters zu erweichen. Nur unter der Be¬ dingung, daß die flüchtigen Männer sich freiwillig stellten, wollte er die Geiseln losgeben. Selbst das Gesuch, wenigstens den gefangenen Frauen ein passenderes Lokal, als die Wachstube seiner Soldaten anzuweisen, schlug er grausam ab, indem er seiner Härte noch den frivolsten Hohn zufügte „Sie können sich nicht über mich be¬ klagen, da ich auf das beste für ihre Unterhaltung sorge. Meine Burschen werden ihnen schon die Zeit vertreiben und die Verlassenen über den Verlust ihrer Männer trösten“, sagte er mit rohem Lachen. So zurückgewiesen, wandten sich die würdigen Matronen an den dänischen Pastor, dessen Vermittlung sie anriefen. Aber auch dieser weigerte sich, ihnen bei¬ zustehen, unter dem Vorwande, daß es nicht seines Amtes sei, sich in weltliche Angelegenheiten zu mischen. Unterdessen schmachteten die unglück¬ lichen Frauen in Gesellschaft der rohen Soldaten voll Kummer und Trauer um das Schicksal ihrer Männer und Ver¬ wvandten, voll Furcht vor ihren Wächtern, * in deren Nahe sie nicht einmal zu schlafen. wagten, so daß sie zwei Nächte hindurch kein Auge schlossen. Nur Inge verlor nicht den Mut und tröstete ihre Leidensschwestern, die sie durch ihre Worte und ihr Beispiel auf¬ richtete. Selbst die rohen Soldaten fühlten die Macht ihrer jungfräulichen: Schönheit und Unschuld, vor der sie sich unwillkürlich beugten. Kein unreines Wort beleidigte ihr Ohr, und selbst die wildesten Gesellen unterdrückten jede un¬ lautere und zweideutige Rede, wenn die „Rose von Sylt“ sie mit ihren frommen Augen halb flehend, halb stolz anblickte. Nur wenn sie sich unbemerkt glaubte, flossen ihre Tränen, die nicht ihrem Schicksal, sondern dem abwesenden Lorensen galten, von dem noch keine Nachricht ihr zugekommen war. Und darum glich Inge wohl auch L. Frahms C „Treuer Schwester“ der namenlosen Friesin, welche Tag für Tag, Jahr um Jahr auf die Rückkehr ihres in See ge¬ gangenen geliebten Bruders paßt, und konnte auch mit dieser in folgende weh¬ mutsvollen Worte einstimmen, welche sie beim Hinausschauen aus ihrem Fenster: bei der Lampe Schein an Wolken;, Möwen und Sterne richtete:

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