wurde der unsichere Weg. Wo noch vor wenigen Augenblicken fester Boden war, da sank der tückische Sand und Schlick unter den Hufen ihrer Tiere, und mit jedem Schritt, der sie weiter führte, wuchs die Gefahr. Stillschweigend eilten sie im raschen Ritt, um den Strand zu erreichen, aber je weiter sie kamen, desto höher stieg die Flut, desto unheimlicher rauschten und brausten die tückischen Wogen. Die Pferde schienen die Gefahr zu ahnen und wurden unruhig, als das Wasser ihnen fast bis zum Gürtel ging. Das junge Füllen, auf dem die schöne Inge ritt, war besonders scheu und bäumte sich hoch auf, als es das kalte Wasser fühlte und eine große Welle ihm entgegenschäumte. Die zwar mutige, aber doch ungeübte Reiterin suchte das wider¬ strebende Pferd mit Gewalt anzutreiben, aber das wilde Tier richtete sich hoch auf, so daß die Jungfrau herabgeschleudert sie wurde und in das Wasser fiel. Da C aber eine geübte Schwimmerin war, fürchtete sie sich nicht vor dem vertrauten Element. Zum Unglück aber hielten die Hufe des wilden Füllens ihren Mantel im fest, so daß sie nahe daran war zu Wasser zu ertrinken, oder im Schlick ersticken. Schon fühlte sie ihre Besinnung chwinden, schon drohte eine Ohnmacht ihre Glieder vollends zu lähmen, so daß sie den sicheren Tod erwartete, als ihr Begleiter schnell von seinem Pferde herab¬ sprang und mit eigener Lebensgefahr die Untersinkende erfaßte und auf sein Pferd hob. Das bewußtlose Mädchen in seinen Armen haltend, überließ er sich dem icheren Instinkt des klugen Tieres, das halb schwimmend, halb watend nach einer peinlichen halben Stunde beide glücklich an den Strand brachte, wo Lorensen vor den Verfolgungen der Dänen sicher war. Als Inge endlich die geschlossenen Augen wieder öffnete und aus ihrer Ohnmacht erwachte, begrüßte der Jüngling mit einem lauten Freudenschrei die ersten Zeichen des zurückkehrenden Bewußtseins. „Meine Inge!“ rief er hochbeglückt, in¬ dem er ihre Hand, die sie ihm willenlos überließ, an seine Lippen drückte. 37 „Was tust du?“ fragte sie schüchtern und doch stolz. „Es ist nicht recht von dir daß du meine hilflose Lage mißbrauchst. „Fürchte dich nicht!“ erwiderte Lo¬ „Ich rensen, noch immer vor ihr knieend. bete zu dir wie zu einem Engel, den mir der Himmel geschickt, um mich vor dem sicheren Tode zu retten.“ „Nicht du mir, sondern ich danke dir das Leben.“ „Und ich dir meine Freiheit. Ich wäre lieber gestorben, als in die Hände der Dänen gefallen. „Ich zittere, wenn ich daran denke, daß du auch hier nicht sicher bist, da sie deine Spur verfolgen. Du mußt noch heute die Insel verlassen und auf das Festland zu kommen suchen, um ihren Nachstel¬ lungen zu entgehen.“ „Wie!“ rief er bestürzt. „Du willst, daß ich dich verlassen soll, nachdem ich dich kaum gefunden?“ „Tu' es um meinetwillen!“ bat sie, mit ihren blauen tiefen Augen ihn zärt¬ lich anblickend. „Nicht eher, bevor du mir gelobt, mein Weib zu werden, wenn ich glücklich wiederkehre. Statt zu antworten, reichte ihm Inge ihre Hand; er aber zog sie an sein Herz und drückte den Verlobungskuß auf ihren Mund. Die untergehende Sonne beleuch¬ tete mit ihren goldenen Strahlen das glückliche Liebespaar und verwandelte die wilde Schlucht in einen Feenpalast, die ärmlichen Heideblumen und den rauhen Strandhafer in wunderbare Zauberblüten. So saßen sie in trunkener Selbstvergessenheit bis die zunehmende Dunkelheit und die Kühle der Nacht sie an den Aufbruch mahnte. Noch einmal drückte Lorensen das schöne Mädchen an seine Brust, noch einmal küßte er sie auf die keuschen Lippen; dann nahm er Ab¬ chied von ihr, um am frühen Morgen während der eintretenden Ebbe durch die Watten nach dem Festlande zu fliehen, wo er vor den dänischen Verfolgungen Schutz in dem Lager der deutschen Brüder fand.
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