Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

doch von so vieler Würde beherrschte sie Kinderfröhlichkeit; und dazu war hübsch, bildhübsch, sagte sich der Ritt¬ meister, der unwillkürlich in seiner Er¬ innerung nach einer nur annähernd an¬ mutigen Erscheinung suchte. Obgleich er durchaus keinen Grund hatte, länger hier zu bleiben, tat er es doch; und sie zeigte weiter keine Ungeduld darüber. Im Zimmer auf und niedergehend, betrachtete er die Büchertitel an den Wandschränken und sie besprachen einige derselben, be¬ onders Dichtungen. Sie schien belesen und die Poesie zu lieben. Dann fragte er, vor einer Skizze in Wasserfarben stehen¬ bleibend, die über dem Schreibtisch des Hausherrn hing, ob sie dieselbe vielleicht gemacht habe, und sie bekannte sich dazu, erwähnte aber, daß es nur eine Kopie sei. Daraufhin wagte er es, ihr seine Zeich¬ nung vom Tage vorher, die er abends vollendet hatte, zu zeigen, und sie er¬ mangelte nicht, sie aufrichtig zu bewun¬ dern. Die Szenerie war in jeder Be¬ ziehung vollkommen und ihre Gestalt im Boote so anmutig und frisch wie im Leben. „O, wie das Papa gefallen würde!“ rief sie lebhaft aus, „er hat Aquarellen so gern!“ „Diese könnte ich ihm allerdings nicht geben“, sagte der Rittmeister erfreut. „aber ich könnte vielleicht eine Kopie davon machen?“ „O danke, danke sehr! Ich möchte Sie um keinen Preis bemühen“ erwiderte sie, ich augenscheinlich erinnernd, wie fremd er ihr sei, und ein entzückendes Rot trat auf ihre Wangen. „Wenn Sie doch Lust hätten, mich übersetzen zu sehen“, sagte er plötzlich mit einiger Verlegenheit. „Wenn Sie versprechen wollen, nicht wieder hineinzufallen, ganz gewiß“ 885 lächelte sie wieder, und ergriff den Hut, der auf dem Tische lag. Pluto war bei der Hand und sie gingen ans Wasser hinunter, auf dem Wege ganz vergessend, daß sie einander fremd seien, und noch herzlich miteinander über das unerwartete Umstülpen des Bootes 25 lachend. Er stieg unter ihren Weisungen wieder hinein und plätscherte glücklich hinüber, während Pluto nachschwamm, um das kleine Schiff zurückzubringen. Seine Augen verfolgten ihre und Plutos Rückkehr ins Pfarrhaus, und während er seine Angelgerätschaften, die er an der Stelle fand, wo er sie Tags vorher hatte liegen lassen, zusammennahm, murmelte er vor sich hin: „Es ist das reizendste Geschöpf, was ich in meinem Leben ge¬ sehen habe — aber, meine Ehre und Alice Forster!“ fügte er seufzend hinzu. Zu Hause fand er, daß sein Vater ihn ungeduldig erwartete; er hatte plötz¬ lich einen Brief erhalten, der ihn in drin¬ genden Geschäften nach B. rief, hoffte aber möglichst bald zurückzukehren und elbst mit Forster sprechen zu können, den Eduard unterdessen zu gewinnen suchen sollte. Am folgenden Tage fand der Ritt¬ meister Herrn Forster in ähnlicher Eile und Bestürzung; auch er war in der Ferne nötig und gezwungen, noch den¬ elben Abend aufzubrechen. Seine Tochter war noch nicht nach Hause ge¬ kommen, sondern bei einer Freundin ge¬ blieben; er erwartete sie aber stündlich und hatte bereits nach ihr geschickt, um ihr Graf Arnsteins Anwesenheit mitzu¬ teilen. Eduard seinerseits richtete von einem Vater den Bescheid aus, daß er ein im Laufe einer Woche wieder zurück und dann seinem alten Jugendfreunde ogleich seinen Besuch machen würde. „Ich hätte Sie beide sogleich gebeten, Ihren Aufenthalt hier zu nehmen, sagte Forster, „wenn ich nur sicher gewesen wäre, daß dies Ihrem Herrn Vater keine Fatalität sei, jedenfalls sehen wir uns aber, sobald er zurück ist; ich erwarte be¬ stimmt, daß Sie dann bald kommen. Der Rittmeister dankte für das freund¬ liche Anerbieten, und da es ihm an einer anderweitig passenden Redensart im Mo¬ ment zu mangeln schien, sagte er nur in hergebrachter Weise, wie unendlich glück¬ lich ihn das machen würde. Das Frühstück ging vorüber und das Fräulein kam nicht, worüber der Vater

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