Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

20 mender Blick flog hinüber über die Bergesgipfel, die eine blasse Wolkenkon¬ tur in den Kristall des Morgens zeich¬ nete, der Hauch der ganzen Gebirgskette mit ihrem dämmerblauen Waldrücken zog wie ein luftiger Feengürtel um den Him¬ mel, bis er verschwomm in zarte, kaum sichtbare Lichtschleier, darinnen weiße —und der Strom Punkte zitterten drunten in seinen Windungen bald wie ein Lichtfaden, dann wie ein flatternd Band und endlich ein breiter Silber¬ gürtel, gesucht und geliebt von mancher dunkeläugigen Blume am Ufersrand dem Wanderer wurde ganz seltsam zu Sinne, die Schnur zusammenwindend chritt er weiter und weiter bis er endlich Stunden waren darüber verstrichen durch das plötzliche Auftauchen einer kleinen Kirche am anderen Ufer wieder an den Stand seiner Angelegenheiten erinnert wurde. Er sah sich nach dem kleinen Stege um, der war nirgends zu sehen; achtlos mußte er daran vorübergegangen sein. Seiner Uhr nach war es schon spät aber die kleine Kirche, um die eine Wildnis schöner Waldblumen blühte, das Wellen¬ silber des Stromes und eine einzige mächtige Föhre im Vordergrunde, die ihre stolze Krone hoch in das Dunkel¬ blau über ihr hineinreckte, waren ein un¬ widerstehlicher Vorwurf für sein Skiz¬ zenbuch, er fing an zu zeichnen und war bald genug in diese Beschäftigung ver¬ sunken. Von dem Bellen eines Hundes wurde er endlich gestört. Aufblickend sah er in einiger Entfer¬ nung von dem Baumstamm, auf welchem er, die Mappe auf den Knien, saß, ein junges Mädchen vor sich, das mit vieler Leichtigkeit ein starkes Tau von einem Baumstamme am Ufer löste während ein großer Neufundländer lustig um sie her sprang. Am Fuße des Baumes konnte er jetzt einen kleinen Kahn ent¬ decken, in den das Mädchen rasch hin¬ einsprang. Es war ein kleines, enges Boot, das ihn einen Augenblick an die Nachen erinnerte, die er sich als Kind aus brauner Rinde geschnitzelt — aber diese Erinnerung konnte nur einen einzigen Augenblick auftauchen und mußte wieder untergehen vor der Spannung und Auf¬ merksamkeit mit welcher er schon im * nachsten jeder Bewegung der jungen Dame folgte, die mit unnachahmlicher Grazie und erstaunlicher Sicherheit zwei Ruder ergriff, mit denen sie sich sicher über den Strom ans andere Ufer ruderte. Der Hund war nachgesprungen und schwamm prächtig hinterdrein. Natürlich deutete der Rittmeister beide so rasch er konnte auf seiner Zeich¬ nung an, den großen breitrandigen Strohhut mit dem Feldblumenstrauß und den lose über die Schulter geschlun¬ genen roten Schal mit den malerischen Falten im geheimen bewundernd, beide Farben, die so prächtig das Grau und Blau seines Landschaftsbildes beleben mußten. Er brauchte nicht zu fürchten, daß er den Anblick bis zu seiner Heim¬ kehr vergessen würde und doch zeichnete er fast mit fieberhaftem Eifer immer schneller und eifriger, bis das Boot am anderen Ufer war und das Mädchen hin¬ ausspringend, es wieder an einem Baume befestigte. Es war eine entzückende Er¬ scheinung, wie sie so dastand in dem ein¬ fachen weißen Kleide, den Schal nach¬ —— lässig halb über der Schulter, unter dem italienischen Hut mit dem Feld¬ blumenstrauß, der schief auf dem Locken¬ kopf saß, einzelne verirrte Locken. Eduard Arnstein ließ den Stift aufs Knie sinken; er kam sich vor wie in einem Märchen. Dort drüben traten die Berge zurück und standen groß da in lichtnebligen Schleiern und sanft träu¬ merischer Magie, kleine Schaumkronen wiegten sich auf dem schönen, glatten flimmernden Elemente und noch rann flüssiges Silber um den schwankenden Kahn, aus dem der kleine Mädchenfuß eben geglitten. Rings heilige Waldstille bis plötzlich — halt! richtig dort stand das Kirchlein drüben, ein leises seltsa¬ mes Läuten hörbar wurde. Die Glocken waren wunderbar schwach; es war, als fielen nur einzelne Töne unendlich fern aus der Luft — dann schienen sie von

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