Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

Er schwieg und eine lange Pause trat ein. Der Rittmeister sah sehr ernst aus Er hatte lange aufgehört zu frühstücken und spielte achtlos mit Brotkrumen. Als er eben eine beinahe kunstvoll formierte Kugel auf den Tisch gleiten ließ, blickte er zu seinem Vater hinüber und — war es wirklich möglich, daß dieser je ein so niedergedrücktes, klägliches Gesicht zei¬ gen konnte? — brach er in leichtes mun¬ teres Lachen dabei aus. „Nun, nimm dir das nicht so zu Her¬ zen, Papa, ich will schon mein Möglich¬ stes tun. Aber nun immer weiter; warum brachtest du mich hieher?“ „Welche Erleichterung, dich lachen zu hören,“ atmete Graf Arnstein tief auf, „glaube mir, mein Sohn, wenn deine gute, entschlafene Mutter jetzt —“ „Um ihretwillen tue ich es, verlasse dich darauf. Ich könnte, um ihr Anden¬ ken in Ehren zu halten oder ihren letzten Erdenwunsch zu erfüllen, ein Mädchen von noch ganz anderem Herkommen hei¬ raten; aber jetzt nun wirklich: warum sind wir denn gerade hier?“ „Ich bin in B. gewesen und habe dort erfahren, daß Forster, nachdem er seines Vaters Millionen verdoppelt hat, sich von Geschäften zurückgezogen und in dieser Gegend angekauft und ansässig gemacht habe. Ich schriebihm von B. aus und teilte ihm mit daß du nach ahrelanger Abwesenheit für längere Zeit auf Urlaub heim kämst, und daß ich nur hoffen könnte, daß du dich bei dieser Gelegenheit bereit finden ließest, unsere lang schwebende Verabredung zu erfül¬ len. Ich empfing darauf eine höfliche aber trockene und sehr gemessene Ant¬ wort des Inhalts, daß er sich freuen würde, dich kennen zu lernen und daß seine Tochter Alice zufällig zu Hause wäre.“ Nach einigen näheren Besprechungen und vertraulichen Erwägungen der pein¬ lichen Sachlage, die auf diese Erklärung noch zwischen Vater und Sohn gewechselt wurden, schüttelten sich die beiden darauf herzlich die Hände und der letztere verließ das Gastzimmer. Bald nachher stand er 19 auf der Brücke vor dem einsamen Gast¬ haus, Angelrute und Fischgerät in der Hand, und als er die ungestümen wilden Sprünge der silbernen Wellen über die Felsstücke schäumen sah, dachte er un¬ willkürlich: ach, wenn auch ich so über die Schwierigkeiten der nächsten Zukunft hinwegspringen könnte. Dann ging er noch einmal ins Wirts¬ haus zurück um Erkundigungen über Herrn Forster und seine Tochter Alice einzuziehen, und so schwierig es für ihn war, das breite Idiom der Berge zu verstehen, so erfuhr er denn zum Ende von der gesprächigen Wirtin doch, daß Herr Forster ein ungeheuer reicher Mann sei und seine Tochter das schönste und klügste Mädchen so weit die Berge reich¬ ten, worauf der Rittmeister inbrünstig hoffte, keine Gnade vor ihren Augen zu finden und sich auf diese Art noch glück¬ lich aus der Affäre zu ziehen. Die Wir¬ tin erzählte ihm weiter, daß das Gut Löwenfeld, das Herr Forster augenblick¬ lich bewohne, ein ganzes Stück stromauf¬ wärts liege und daß, wenn er es sehen wolle, er nur eine gute Meile am Ufer entlang gehen möge, dann auf einem Steg unterhalb der Kirche hinüber und etwa dreiviertel Meilen auf der gegen¬ überliegenden Seite weiter, dann läge das Schloß dicht vor ihm. Er brach rasch auf mit der Absicht, gradewegs dorthin zu gehen und auf dem Rückwege erst seine Angel auszu¬ werfen; aber die Schönheit des heiteren Morgens, das verführerische Murmeln der schimmernden Wellen war zu an¬ ziehend — ein kurzes Besinnen und bald hing seine Leine im Wasser. Angelnd und träumend, träumend und angelnd verweilte er bald, bald schlenderte er seine weiter, im behaglichen Nichtstun Absicht sowohl wie Herrn Forster sam Alice vergessend. Außerdem war er Land¬ schaftszeichner und hatte sein kleines Skizzenbuch in der Tasche. Dichte Waldbestände der schwermüti¬ gen Fichte und Föhre führten den Strom hinauf und hoben sich lieblich schwarzblau¬ dämmernd von den Wellen ab, sein träu¬ 228

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