5 Tochter „Wollt ihr stille sein?“ rief die Fenster. des Hauses zornrot aus ihrem „Lise, du dumme Gans, das ganze Dor schreist du uns noch zusammen! Junge, halt dein ungewaschenes Maul, oder ich stopf' es dir auf meine Weise! Das Fenster ward zugeschlagen. Die Magd und der Junge verstumm¬ ten zwar, dem erhaltenen Befehl gemäß, allein der letztere, dessen ganzes Gesicht vor Freude grinste, konnte seine zappelnden Glieder noch nicht zur Ruhe bringen, son¬ dern schlenkerte Arme und Beine nach den verschiedensten Richtungen hin durch die Luft. „Nimm' dich in acht, Tönjes!“ warnte die Magd, über deren Gesicht gleichwohl auch noch immer ein verhaltenes Lachen zuckte, „sie wird ihren Bruder holen, und wenn er dich lachen sieht, geht dir's schlimm! Noch während dieser Worte öffnete sich die Seitentür des Hauses und eine Leiter schob sich heraus. Derjenige, welcher sie in Händen hielt und nun auf den Hofraum hinaustrat, war ein noch ziem¬ lich junger Mann mit finsterem, ab¬ stoßendem Gesicht —der Sohn des Hauses, Peter Nettelmeier. Ein stechender Blick traf die beiden im Hofe Befind¬ lichen. Die Magd war rasch auf den Zieh¬ brunnen zugeschritten und drehte eifrig die Kurbel desselben, daß die eiserne Kette sich rasselnd abwickelte und der Eimer zum Wasserspiegel hinunterschoß. „ Tonjes stand jetzt still und sah die beiden sich Nähernden — denn Kathrine war dem Bruder auf dem Fuße gefolgt mit lauernden Blicken an. Der junge Bauer, der offenbar gern eine Ursache ge¬ habt hätte, sich an ihm zu reiben, herrschte ihm zu: „Aus dem Wege, Junge!“ ob¬ wohl der Platz übergenug Breite zum Vorübergehen bot, lehnte dann die Leiter an den Baum und schickte sich an, die Strohpuppe herunterzuholen. Allein die¬ selbe war mit Stricken so fest an den Zweigen befestigt, daß sie anfänglich allem Zerren und Ziehen Trotz bot. Wütend holte Peter sein Einschlagemesser aus der Tasche und durchschnitt die Knoten, in¬ dem er zornige Flüche ausstieß. Jenseits der Hofmauer sammelten sich bereits einige Menschen, welche lachend dem er¬ götzlichen Schauspiele zusahen. Endlich waren sämtliche Stricke durchschnitten: mit einem Fußtritte schleuderte Peter das Geschöpf zur Erde, daß es fast unmittel¬ bar vor Kathrinens Füße niederfiel. Die letztere bückte sich hastig und betrachtete scharf die alten, zerlumpten Kleidungs¬ stücke, mittels deren dem Geschöpf das Ansehen einer menschlichen Figur gegeben worden war. „Na, findest du etwas, das dir be¬ kannt vorkommt?“ fragte der Bruder, von der Leiter herabsteigend. Sie schüttelte den Kopf. „Nein! Aber weit werden wir wohl nicht zu suchen haben mit unseren Gedanken, bis wir den Richtigen treffen. □ „Ich merke, wir raten beide auf den¬ selben!“ sagte Peter mit tückischem Aus¬ druck; „aber wart' nur, dem will ich die Suppe versalzen! Nachdem die beiden Geschwister sich wieder in das Haus zurückgezogen hatten näherte sich Tönjes der Magd geheimnis¬ voll. „Lise, ich weiß ganz gut, wer den Strohkerl gebracht hat; ich kenne den Hut, den er auf dem Kopfe trägt — aber ich sag's nicht, nein, das tu' ich nicht.“ T „So, Tonjes?“ fragte das Mädchen neugierig. „Du weißt's also? O, mir kannst du's wohl sagen, ich verrat's nie¬ mand! Aber Tönjes drehte sich wieder wie ein Kreisel auf den Hacken herum und quäckte voller Vergnügen: „Nein, ich tu's nicht! ich tu's und tu's nicht!“ Bald darauf versammelten sich die Hausgenossen auf dem Küchenflur zum Frühstück. Doch dasselbe ging schweigsam und un¬ erfreulich von statten, trotzdem zu Ehren des Festtages statt der gewohnten Milch¬ suppe Kaffee aufgetragen worden war und auch das nur bei besonderen Gelegen¬ heiten gereichte weiße Brot nicht fehlte. Die Magd bat, nachdem sie die Reste des Frühstücks abgeräumt, um die Er¬
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