Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

104 schon sprengte ein schwer gepanzerter Reiter an ihn heran und nötigte seinen prächtigen starken Schimmel vor Pipin zum Halten. Grüß Gott, Pipin“, sagte der Reiter, dem die Hand reichend, „alles in Ordnung 2¼ bei euch „Gottlob, ja, Herr Graf“, beeilte sich Pipin zu erwidern und drückte seinem Gebieter kräftig die Hand, „will nur gleich mit Verlaub fragen: nächtigt ihr bei 7 uns? Es ist wegen der Verköstigung „Ei, freilich bleiben wir hier über Nacht“, erwiderte der Graf*) lebhaft und auf seine mittlerweile herangekommene Begleitung weisend, fügte er wie einen Befehl hinzu: „Wollen hier auf der Lichtung uns lagern — habt doch genug zum Beißen für uns und unsere Pferde? „Ja, ja, wir sind gottlob mit allem versehen, Herr Graf, der Vogt ist in Todicha, kommt auch nicht vor morgen Abend heim, vertritt eben ich seine Stelle, meinte Pipin, „erlaubt, daß ich alles besorge! Der Graf nickte nur und während Pipin in die Ansiedelung eilte, saßen die Reiter ab, banden die Pferde an die Bäume, sattelten sie ab und richteten rasch ein Lager her. Die Einwohner der Siedelung schleppten Eßwaren und Hafer herbei, die Pferde wurden gefüttert und in großen Töpfen brodelte an den Lagerfeuern auch bald das Rauchfleisch zur Atzung für die Mannen des Grafen. Es waren wohl mehr als hundert Mann, welche hier lagerten und sich von dem, wie man sah, scharfen Ritte er¬ holen wollten, starke, große Männer aus allen Gauen des Frankenreiches, blond¬ haarige Bayern und dunkelbärtige Franken rauhe, einfache Kriegsleute in abgenützten Lederkollern und mit oben spitz zulaufen¬ der Sturmhaube und Schwert und Spieß bewaffnet, selten einer noch über¬ dies mit Tartsche**) oder Bogen ver¬ sehen. Seltsam von diesen schmucklosen *) Graf war damals kein Adelstitel wie heute, er be¬ zeichnete das Amt und den Rang der Stellung. Die Grenzgrafen entstammten natürlich dem Adel des Reiches. ) Schild. deutschen Kriegern hoben sich fünf Avaren ab, in reichverzierten Röcken und Hosen, mit federgeschmückten runden Pelzhauben auf den Köpfen und bewaffnet mit breiten feingearbeiteten, etwas im untern Drittel gekrümmten Schwertern und am Rücken Bogen und einen Köcher mit Pfeilen tragend. Mit ihnen schritt der Gra eben jetzt in die Siedelung hinein, um in Pipins Behausung das von dessen Frau und Reta eiligst hergerichtete Abend¬ brot zu verzehren Daß diese Avaren vornehmen Standes waren, sah Pipin sogleich, auch wußte er aus Erfahrung, daß diese fünf fremden Männer so etwas wie eine Gesandtschaft bilden mußten, eine Abordnung, die zu einem hohen Herrn ging oder von einem solchen kam, dies zeigte ihr ganzer Aufzug, die prächtige Ausrüstung ihrer Pferde und bestätigte ihm auch das zuvorkommende Wesen Graf Werinhars gegen die Avaren und der war ansonst nicht einer von denen, der gern viel Aufhebens mit den Leuten machte, denn Werinhar war eine einfache, schlichte Kriegernatur und fühlte sich unter seinen Mannen und Ansiedlern weit wohler als am glänzenden Hofe eines fürstlichen Herrn. Daß jeder dieser fünf Avaren einen berittenen Knecht mit hatte, schien dem beobachtenden Pipin selbstverständlich was er aber nicht sich reimen konnte, das war, daß die Avaren überdies zwei Handpferde mit sich führten. Eines davon war ein selten schöner und feuriger Fuchs herrlich gezäumt und mit feiner, gold¬ bordierter Schabrake unter dem voll¬ kommen neuen Sattel, das zweite der Pferde war als Packtier aufgesattelt und trug denn auch auf jeder Seite einen tüchtigen, gutverschnürten Korb. „Entweder holen die einen ihrer Chane*) ab oder sie überbringen Geschenke, aber wem sollen sie Geschenke bringen? In der Richtung, wohin sie reiten, wohnt kein für die Avaren mächtiger Herr“ dachte Pipin, aber er fragte nicht, wie es für einen Mann geziemend ist. Pipin sollte darüber bald im Klaren *) Chan = Fürst.

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