Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

82 allgemeiner Zustimmung das Bedauern aus¬ sprach, daß „Prinz Hohenlohe, der zum erstenmal den Uebergriffen der ungarischen Regierung mannhaft entgegengetreten ist, seine Demission ge¬ geben hat und diese Demission angenommen wurde“, dann aber beschlossen wurde, an den Grafen Vetter, als Präsidenten des Abgeord¬ netenhauses, eine Deputation zu entsenden mit der Aufforderung, womöglich noch am 29. Mai 1906, sonst aber doch für den 30. Mai 1906 vormittags 11 Uhr, unbedingt eine Sitzung ein¬ zuberufen. Obwohl Graf Vetter jedoch zunächst auf seiner Anschauung beharrte, daß es mit Rücksicht auf die angenommene Demission des eine Ministeriums nicht konstitutionell sei, Sitzung einzuberufen, anderseits aber die Ob¬ männerkonferenz sich gleichzeitig zu einer Sitzung, welche sich mit der angeregten Frage befassen sollte, versammelt hatte, so wurde die inoffizielle Sitzung geschlossen. Da sich aber auch die Ob¬ männerkonferenz für die Einberufung einer offiziellen Sitzung für den 30. Mai 1906 aus¬ sprach, so fügte sich auch Graf Vetter dem allge¬ meinen Verlangen. In dieser denkwürdigen offiziellen Sitzung brachte Dr. Kathrein im Namen der Obmänner aller im Abgeordneten¬ hause vertretenen Klubs folgenden Dringlich¬ keitsantrag ein: „Das Abgeordnetenhaus legt entschiedenste Verwahrung dagegen ein, daß der durch die gesetzliche Kundmachung des gemein¬ samen Zolltarifes geschaffene und mit schweren wirtschaftlichen Opfern unserer Reichshälfte er¬ kaufte geltende Rechtszustand durch das einseitige Vorgehen Ungarns ohne Zustimmung des for¬ Reichsrats geändert werde. Ebenso entschieden dert das Haus, daß es dem Reichsrate durcheine Vertagung in dieser kritischen Zeit nicht un¬ möglich gemacht werde, die Rechte des Parla¬ ments und die Interessen der im Reichsrate ver¬ tretenen Königreiche und Länder zu wahren.“ Dieser Antrag wurde nach lebhafter Debatte, nachdem dessen Dringlichkeit mit 240 gegen 8 Stimmen ausgesprochen worden war, auch in merito fast stimmeneinhellig zum Beschluß er¬ hoben und hierauf die Sitzung geschlossen. Inzwischen wurden die Verhandlungen wegen Lisung der Ministerkrise fortgesetzt und schließlich wurde der Sektionschef im Ackerbauministerium, Max Wladimir Freiherr v. Beck —ein Ver¬ trauensmann des präsumtiven Thronerben — mit der Bildung des neuen Kabinetts betraut, eine Aufgabe, welche derselbe auch übernahm. Baron Beck, der ebenfalls die Wahlreformvor¬ lage des Ministeriums Gautsch in sein Pro¬ gramm aufnahm, richtete sein ernstes Bestreben darauf, sein Ministerium wenigstens teilweise zu parlamentarisieren, um so dem parlamentari¬ schen Ministerium in Transleithanien bei den bevorstehenden wichtigen Verhandlungen ein ebenfalls parlamentarisches Ministerium gegen¬ überstellen zu können. Nach ernsten Verhand¬ lungen mit den maßgebenden Klubs des Abge¬ ordnetenhauses konnte am 2. Juni 1906 die vollständige Ministerliste dem Monarchen vor¬ gelegt und von ihm genehmigt werden und da¬ eine Art mit war das neue Ministerium — parlamentarisches Koalitionsministerium — ins Leben getreten. Ihm gehören als parlamen¬ tarische Minister (Abgeordnete) an: die Deutschen Dr. Julius v. Derschatta, Eisenbahnminister Dr. Gustav Marchet, Unterrichtsminister; Doktor Heinrich Prade, deutscher Landsmannminister der Tscheche Dr. Friedrich Pacak, tschechischer Landsmannminister; der Pole Graf Adalbert Dzieduszycki, polnischer Landsmannnminister. Noch gehören dem neugebildeten Ministerium an: Baron Beck, Ministerpräsident; Baron Bienerth, Minister des Innern, Graf Auersperg, Acker¬ bauminister; Dr. Klein, Justizminister; Dokton Josef Forscht (Tscheche), Handelsminister; Doktor Witold Ritter v. Korytowski, Finanzminister; und F3M. v. Schönaich als Landesverteidigungs¬ minister. Die „Wiener Zeitung“ veröffentlichte am 3. Juni die diesfälligen vom 2. Juni 1906 datierten kaiserlichen Handschreiben. Dieses Ministerium hat die Aufgabe übernommen, die Wahlreform durchzuführen, die Beilegung des deutsch=tschechischen Konfliktes in Böhmen mit Ernst zu versuchen und — nach den Erklärungen des Ministerpräsidenten — inbesondere die Rechte und Ansprüche Zisleithaniens gegenüber Trans¬ leithanien mit Energie zu wahren. Wie die Lösung dieser schwierigen Aufgaben ihm gelingen wird, wird die Zukunft lehren. * * * Am 3. Mai 1906 erschien folgendes Hand¬ schreiben des Kaisers: „Lieber Herr Vetter Erzherzog Rainer! Schmerzlich bewegt mich Euer Liebden aus Gesundheitsrücksichten gestellte Bitte um die

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