80 Feindseligkeiten, ja tätlicher Angriffe seitens der Bevölkerung wurden, löste die Regierung am 16. März 1906 diesen Koalitionsausschuß auf. Aber auch die Regierung der starken Hand konnte dem Lande keine wirkliche Ruhe bringen, die Lage nicht entwirren, dafür machte sich aber allmählich im Lager der Koalition selbst das Be¬ dürfnis nach einer solchen Entwirrung geltend, eine friedlichere Stimmung griff gerade bei den Führern der koalierten Gegner der Regierung Fejervary Platz — sah man doch ein, wohin allzu¬ große Schärfe endlich führen müßte —und nun wurden zwischen Wien und Budapest wieder Friedensfäden gesponnen, welche das Ministerium Fejervary in vermittelnder Tätigkeit eifrig zu tärken suchte und der Friede kam schließlich auch zustande — die Koalition hatte sich zur vor¬ läufigen Rückstellung der militärischen Fragen (Kommandosprache 2c.) bereit finden lassen und dafür andere Konzessionen errungen, deren Wesen und Bedeutung freilich bald zu einem Konflikte mit Zisleithanien und dessen Regierung führen sollte. Auf dieser Grundlage hatte sich die Koali¬ tion zur Uebernahme der Regierung bereit er¬ klärt und am 7. April 1906 ward Doktor Wekerle als Nachfolger Fejervarys mit der Bildung eines neuen Ministeriums, des großen Koalitionsministeriums, betraut, welches in seiner Mitte eine Reihe der ersten Führer der koalierten Parteien zählen sollte. Wekerle selbst übernahm das Präsidium und das Finanzministerium, Graf Julius Andrassy das Ministerium des Innern, Franz Kossuth das Handelsministerium, Graf Albert Apponyi das Ministerium für Kultus und Unterricht, Geza Polonyi das Justizministerium und Graf Aladar Zichy das Ministerium a latere. Die frohe Friedenskunde ward am 9. April 1905 in einer Separatausgabe des un¬ garischen Amtsblattes verlautbart. Die betref¬ fenden Handschreiben datieren vom 8. April 1906. Die erste Tat des Kabinetts Wekerle war die Ausschreibung der Neuwahlen für den auf den 19. Mai 1906 einberufenen Reichstag. Diese Wahlen fanden in der Zeit vom 29. April bis 8. Mai 1906 statt und ergaben einen glänzenden großen Sieg der von Franz Kossuth geführten Unabhängigkeitspartei —es fielen ihr von 413 Mandaten 240 zu — aber auch die nichtmagyarischen Nationalitäten errangen manch unerwarteten Sieg und in Kroatien endeten die Wahlen mit einer eklatanten Niederlage der Re¬ gierungspartei — hier siegten die kroatischen Nationalparteien auf der ganzen Linie. Die erste Sitzung des neugewählten Abgeordnetenhauses fand am 21. Mai 1906 statt und wurde Julius Justh, der frühere Präsident des Hauses, als olcher wiedergewählt. — Die zweite Tat des Ministeriums Wekerle war — doch davon später. Inzwischen hatten sich in Zisleithanien ganz merkwürdige Dinge ereignet. Das Ministerium Gautsch, von welchem behauptet wurde, daß es den ersten Wahlreformplan des Ministeriums Fejervary I zum Scheitern gebracht und so die Demission dieses Kabinetts veranlaßt habe, brachte nun selbst — wie man sagt, gedrängt — im von sozialdemokratischen Demonstrationen österreichischen Reichsrate eine Wahlreformvorlage basiert auf dem allgemeinen Wahlrechte ein. Diese Wahlreformvorlage sollte ihm aber ebenso verhängnisvoll werden, wie dem Ministe¬ rium Fejervary I die seinige. Im Eifer der Ver¬ teidigung seiner Vorlage hatte Ministerpräsident Gautsch ein unbedachtes Wort über die pro domo=Politik des Polenklubs fallen lassen und so die Opposition des Klubs gegen sich und seine Vorlage heraufbeschworen. Um die Vorlage zu retten, gab das Ministerium Gautsch (aus welchem im September 1905 der Unterrichts¬ minister Dr. Wilhelm Ritter v. Hartl und der Handelsminister Guido Freiherr v. Call aus¬ geschieden waren, wobei an deren Stelle Doktor Richard Baron v. Bienerth und Leopold Graf Auersperg als Sektionschefs die Lei¬ tung der betreffenden Ressorts übernahmen) Ende April 1906 seine Demission, welche auch ange¬ nommen wurde. Mit Freiherrn v. Gautsch schied auch der Minister des Innern, Graf Bylandt=Rheidt, aus dem Ministerium. Mit kaiserlichem Handschreiben vom 2. Mai 1906 wurde der Statthalter von Triest, Konrad Prinz zu Hohenlohe=Schillingsfürst, ein freiheitlich und modern gesinnter, aus deutschem Geschlechte und deutscher Schule hervorgegangener Kavalier, man hat ihn wegen seiner demokratischenNei¬ gungen den „roten Prinzen“ genannt zum Ministerpräsidenten ernannt und ihm auch die Leitung des Ministeriums des Innern über¬ tragen. Prinz Hohenlohe übernahm die Wahl¬ reformvorlage des Ministeriums Gautsch in sein Regierungsprogramm mit der ausgesprochenen Absicht, sie im Wege von Kompromissen zu einer allseits akzeptabeln umzugestalten.
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