78 gen Bericht schlossen, stand in Zisleithanien als Erbe des Ministeriums Koerber ein Ministerium Gautsch am Ruder, in Transleithanien aber hatte Baron Geza Fejervary nach dem Scheitern der Mission Tiszas eine Art Beamtenministe¬ rium gebildet, welches die Aufgabe hatte, die Geschäfte so lange fortzuführen, bis ein parla¬ mentarisches Ministerium gebildet werden könnte. Abgeordneten= und Magnatenhaus aber hatten das neue außerparlamentarische Ministerium am 21. Juni 1905 mit einem mehr, respektive minder scharfen Mißtrauensvotum begrüßt, was noch am selben Tage die Vertagung des Par¬ laments bis zum 15. September 1905 zur Folge hatte. In Zisleithanien wickelte sich die innerpoli¬ tische Geschichte in der ersten Hälfte unserer Berichtsperiode verhältnismäßig ruhig ab und zwei Streitobjekte, welche in der vorjährigen Berichtsepoche zu lebhaften politischen Konflikten und — in Tirol — sogar zu Blutvergießen ge¬ führt, wurden während dieses Berichtssemesters aus der Welt geschafft.— Die slawischen Parallelklassen an der deutschen Lehrerbildungs¬ anstalt in Schlesien, welche in letzter Reihe auch die Veranlassung zur Demission des Landes¬ — präsidenten von Schlesien, Grafen Thun, ge¬ worden sind, wurden aufgelassen; ein offizielles Regierungscommuniqué, das am 5. August 1905 in den Wiener Blättern erschien, wußte zu mel¬ den, daß das Ministerium Gautsch beschlossen habe, die tschechischen Parallelklassen in Troppau aufzulassen und dafür eine vollständige Lehrer¬ bildungsanstalt mit tschechischer Unterrichtssprache in Polnisch=Ostrau zu errichten. Wie den tsche¬ chischen Parallelklassen an der Lehrerbildungs¬ anstalt in Troppau erging es den italienischen Universitätskursen in Innsbruck, die in dieser Stadt zu blutigen Zusammenstößen und in letzter Linie ebenfalls zu einem Wechsel im Statthalterposten führten: durch einen Mini¬ sterialerlaß wurde die formelle Aufhebung der eit November 1904 geschlossenen italienischen Rechtsfakultät in Innsbruck mit 31. Dezember 1905 verfügt. Weniger glücklich als das Ministerium Gautsch in Zisleithanien war das Ministerium Fejervary in Transleithanien. Mit der am 21. Juni 1905 erfolgten Vertagung des Parlaments bis 15. September 1905 war nichts getan. Die Kon¬ flikte zwischen der Regierung und der vereinigten Opposition — Koalition genannt — waren nut aus dem Parlamente in die breite Oeffentlich¬ keit getragen worden. Am 10. August 1905 konstituierte sich der leitende Ausschuß der Koalition, die kein Regierungsprogramm auf¬ zustellen vermochte, zu einer förmlichen Neben¬ regierung, welche ein Programm der passiven Resistenz, respektive des aktiven Widerstandes der Nation proklamierte. Er erklärte, daß weder die direkten Steuern, noch auch andere Abgaben der „der gesetzlichen Grundlage entbehrenden“ Re¬ gierung zur Verfügung zu stellen seien, daß eine Ergänzung des Standes der Wehrkraft durch Ein¬ berufung der Ersatzreservisten oder Zurückhaltung der Wehrpflichtigen, die ihren dreijährigen Wehr¬ dienst zurückgelegt haben, verboten und gesetz¬ widrig sei und daß die öffentlichen Behörden daher nach dieser Richtung hin keinerlei Unterstützung jewähren dürfen, weder durch Zustellung von Einberufungen, noch durch Ausstellung von Ein¬ trittserklärungen für diejenigen, welche freiwillig einzutreten beabsichtigen. Zugleich erteilte die Koalitionsnebentegierung Ratschläge, wie die durch Befolgung der Weisungen dieser Neben¬ regierung in ihren Bezügen gefährdete Beamten¬ schaft in dieser Richtung sicherzustellen sei. Müde des Kampfes mit jener Nebenregierung und ent¬ mutigt dadurch, daß seine Absicht, die Krise durch Einbringung eines Gesetzentwurfes, welcher die Einführung des allgemeinen gleichen Wahl¬ cechtes in Transleithanien bezweckte und dem Ministerium die Sympathien der breiten Schich¬ ten der Bevölkerung zuführen sollte, zu be¬ seitigen, die allerhöchste Genehmigung nicht fand, gab das Kabinett Fejervary am 12. September 1905 seine Demission, welche von der Krone auch angenommen wurde. Nun folgte, nachdem am 15. September 1905 eine neuerliche Vertagung des Parlaments bis 10. Oktober 1905 und sohin wieder eine solche bis 19. Dezember 1905 eingetreten war, eine Reihe langwieriger Verhandlungen mit den ver¬ schiedensten Führern der Koalition, die aber ebenso erfolglos blieben, wie die analogen Ver¬ handlungen nach dem Sturze des Ministeriums Tisza, so daß, um endlich wieder einen Aus¬ weg aus der immer verwickelter sich gestaltenden Lage zu finden, Fejervary —nunmehr unter Genehmigung eines auch die Wahlreform (Ein¬ führung des allgemeinen, geheimen, unmittelbar gemeindeweise auszuübenden Wahlrechtes, welches
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