74 Teil der in der Kirche zum Gebete Versammel¬ ten wurde getötet oder schwer verletzt. Die Zahl der Toten allein betrug 120. In St. Anasta¬ ia gingen glühende Steinmassen nieder, im Zentrum von Boscotrecase bildete sich ein neuer Krater. In Neapel selbst stürzte in der Nähe des Telegraphenamtes die eiserne Decke der Markt¬ halle Monteoliveto infolge der Schwere der auf ihr lagernden Vesuvasche ein und begrub mehrere hundert Personen, die teils den Tod fanden, teils mehr oder minder schwere Verletzungen davon¬ trugen. Militär mußte aufgeboten werden, um die Dächer in den bedrohten Ortschaften und selbst in Neapel von ihrer Aschenlast zu befreien. In der Gegend zwischen Ottajano und San Giuseppe allein hatten bereits mehr als 500 Personen den Tod gefunden und noch immer setzte das Feuer und Asche speiende Ungetüm seine zerstörende Tätigkeit fort und die Hiobsposten wollten noch immer kein Ende nehmen. Erst vom 10. April an ließ das Toben des Vulkans allmäh¬ lich nach und am 20. April konnte die Eruption als beendet betrachtet werden. Aber noch sollte sich ein neuer Faktor des Unheils einstellen; schwere Wolkenbrüche, welche anfangs der dritten Dekade des Mai niedergingen, verwandelten die Asche, die den Vulkan bedeckte, in glitschigen Schlamm, welcher sich durch die Rinnen und Schluchten des Berges in die Ebene wälzte. Sieben Ortschaften wurden von der Schlamm¬ flut bedeckt, welche auf den Feldern eine Höhe von 3 Metern erreichte und viele Häuser zum Einsturze brachte. Dies war wohl sozusagen das letzte Ausklin¬ gen der Katastrophe, aber über 1000 Menschen¬ leben waren während derselben dem Walten der Naturkräfte zum Opfer gefallen, ohne der weit größeren Zahl der Verletzten zu gedenken, und der materielle Schade, den der Vesuvausbruch ver¬ ursacht, wird auf 400 Millionen geschätzt. Viele Gemeinden am Fuße des Vesuv werden über¬ haupt nicht mehr aufgebaut, sondern ihrem Schick¬ ale überlassen werden. Pompeji blieb diesmal verschont! Neben Europa waren auch Asien und Amerika der Schauplatz schwerer Erdbebenkatastrophen. Am 17. März 1906 wurde die seit dem Frieden von Simonoseki, also seit dem Jahre 1895, zu Japan und vorher zu China gehörige, nahezu 35.000 Quadratkilometer große Insel Formosa von einem entsetzlichen Erdbeben heimgesucht, welches nach dem Kriege mit Rußland und zu einer Zeit, da Hungersnot in einem Teile des Reiches herrschte, in Japan auch wirtschaftlich chwer empfunden wurde. Heftige Erdstöße folgten einander an dem oberwähnten Tage vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht und sämtliche Städte und Dörfer der Insel wurden in Trüm¬ merhaufen verwandelt. So wurden die blühen¬ den Städte Datiyo, Raischiko, Schinko und Kagi völlig zerstört. Viele tausend Menschen fielen der Erderschütterung zum Opfer — 6163 Personen wurden teils getötet, teils verletzt — und der angerichtete materielle Schaden — 2677 Häuser vurden gänzlich zerstört und 18.000 stark be¬ chädigt —wird auf 90 Millionen Yen (220 Millionen Kronen) geschätzt. Durch diese Kata¬ strophe wurde die Insel, auf welcher Japans Herrschaft zivilisatorisch —die Stämme im Innern der Insel waren noch vielfach Menschen¬ fresser und Kopfjäger —und wirtschaftlich segens¬ reich gewirkt, und welche unter dieser Herrschaft chließlich so weit gelangt war, daß sich ihre, von den Japanern eingerichtete Verwaltung selbst be¬ zahlt machte, in ihrer Entwicklung wieder weit zurückgeworfen. Nach Asien kam Amerika an die Reihe: Am 18. April 1906 wurde San Francisco — abge¬ kürzt „Frisco“ — die größte Stadt Kaliforniens von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht, das einen großen Teil der blühenden, aus dem im Jahre 1835 von der Mission San Francisco gegründeten Dorfe „Yerba Buena“ („Gutes Kraut“ i. e. Krausemünze) hervorgegangenen und seit den ersten Goldfunden in Kalifornien (1848) mächtig angewachsenen Stadt in Trümmer gelegt und hunderte von Menschenleben gefordert hat. Es war diese Katastrophe eine weitere Ergän¬ zung und der Abschluß jener Reihe schwerer Ele¬ mentarkatastrophen, welche sich in den Zeitraum von wenigen Wochen auf einander drängten. Noch stand die Welt unter dem vollen Eindrucke der Vesuv=Eruptionen und des Unterganges so mancher blühenden Stadt im Machtbereiche dieses Vulkans, noch war die Erdbebenkata¬ strophe auf Formosa, dessen Erde überhaupt noch nicht zur Ruhe gekommen, nicht vergessen — an¬ fangs April war die kleine Insel Ustica im Tyrrhenischen Meere ebenfalls durch Erderschüt¬ terungen verheert worden —und nun kam die Katastrophe in Kalifornien, die übrigens nicht nur San Francisco zerstörte, sondern auch an¬
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