Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

62 genauer umzusehen ob man sich nicht dauernd hier niederlassen könne, da es ihm in Th. zu langweilig sei. „Da sei es denn ein gutes Omen“ so agte er leutselig und scherzend, daß er beim ersten Ausgange gleich auf einen Namensbetter treffe. Dann zeigte er seinen Brillantring an der linken Hand und sagte: „Sehen Sie, da habe ich gleich etwas für Sie zu tun! Wollen Sie so freundlich sein, den Ring hier von der Hand ziehen. Ich bin leider ein Krüppel. Der rechte Arm ist mir abgeschossen worden. Was Sie da ehen, ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Es ist nur ein hölzerner Arm. Na, es muß auch so gehen, natür¬ lich mit Hilfe eines Dieners. Meine Frau darf nicht wissen, daß ich so allein ausgegangen bin, ohne sie und ohne Diener. Aber, was ich sagen wollte, den Ring da können Sie mal in die Kur nehmen, ihn putzen und säubern!“ Der Juwelier betrachtete den Ring. „Ein schönes Stück! Was? Altes Erb¬ tück! „Ja, könnte wohl auch mal moderner gefaßt werden! „Nein, nein!“ meinte der Oberst ab¬ wehrend, „den laß ich nicht ändern, will mir aber einen neuen Ring dazukaufen. Na, erst machen Sie mir nur den hier in Ordnung, komme dann morgen und hol ihn mir und such dann einen ande¬ ren aus. Komme dann mit meiner Frau!“ Dann bekam der Oberst eine Marke für seinen Ring, plauderte noch ein paar Minuten und ließ sich vom Juwelier agen, wie er noch seinen Spaziergang weiter einrichten könne, um in einer hal¬ ben Stunde in seinem Hotel, natürlich Viktoriahotel, dem ersten der Stadt, sein zu können und ging mit dem Verspre¬ chen, morgen seinen Ring abholen zu kommen und dann seine Frau mitzu¬ bringen, die ihm dann helfen sollte, einen Ring auszusuchen. Das geschah denn auch am anderen Tage. Eine Droschke hielt vor dem Juwelierladen, ein Diener sprang vom Bock, half dem invaliden Herrn Oberst aus dem Wagen, dann seiner Gattin, und das Ehepaar trat in den Laden, vom Juwelier achtungsvoll begrüßt. Der Herr Oberst holte mit seiner Linken geschickt die Marke aus der Tasche, empfing den Ring, den er sich auf den Finger schieben ließ und betrach¬ tete ihn liebevoll. Dann gings ans Auswählen des Ringes. Der Oberst schien sehr kauf¬ freudig zu sein, ihm gefiel jeder kostbare Ring, aber die Gattin schien, wie man zu sagen pflegt, den Daumen auf die Kauflust des Oberst zu drücken. Jeder Ring war ihr zu teuer, am liebsten hätte ie gesehen, der Oberst kaufe überhaupt keinen. Endlich einigte man sich über einen Ring im Preise von zweihundert Mark, keinen übermäßig kostbaren Ring, der aber doch schließlich beiden gefiel. Indessen war er für den Oberst ein wenig zu weit, er mußte verengert wer¬ den; der Juwelier nahm Maß und bis zum anderen Tage sollte er fertig sein. „Na, dann werde ich ihn Ihnen aber gleich bezahlen!“ sagte der Oberst und wollte die Brieftasche hervorholen. „Nein, das wirst du nicht!“ sagte ent¬ schieden die Gattin. „Man bezahlt stets erst, sobald man die Ware in Empfang nimmt! „Aber, Aurelie —“ wandte der Oberst vorwurfsvoll ein, wurde aber vom Juwelier unterbrochen, der höflich sagte, daß das ja in der Tat bis zur Abnahme des Ringes Zeit habe. C „Siehst du wohl,“ sagte die Gattin, „das ist in der ganzen Welt so Brauch, der Laden hier kann ja bis morgen ab¬ gebrannt sein!“ Die beiden Herren lachten und der Oberst fügte hinzu in scherzendem Tone: „Ja, da hat meine Frau Recht, da wag ich's denn auch nicht mal, Ihnen eine Anzahlung auf den Ring zu geben!“ „Ist auch nicht nötig, Herr Oberst! Ich schicke Ihnen morgen um diese Zeit den Ring ins Hotel!“ „Nein, nein, ich hole ihn mir!“ rief der Oberst und blinzelte dabei dem

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