Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

48 bis zum Tode kämpfen. Dieses da hockte lebend neben ihrem toten Gatten. Als wir uns ihr näherten, ritzte sie mit der Spitze dieses Malayenmessers ihr braunes Händgelenk und schleuderte es uns dann entgegen. Vor meinem Fuß fuhr es in den Boden. Ich griff danach. Ein alter Kolonial¬ soldat faßte meinen Arm: „Vorsicht, Sergeant! Dieser Kris ist vergiftet. Seht das Weib an!“ Und was ich sah, ließ mich erbeben. Ein einziger Blutstropfen tand auf der braunen Haut des Weibes, dort, wo sie sich geritzt. Aber noch nicht zehn Minuten waren vergangen, so lag sie starr und tot neben dem Gatten. Seit¬ dem trage ich den Dolch bei mir. Er er¬ innert mich an die bis in den Tod gehende Treue eines halbwilden Weibes und an die — Untreue einer anderen!“ Ellen hatte sich erhoben und streckte nun die Hände nach ihm aus. „Und doch wiederhole ich es: dich habe ich allein geliebt, Theo — bis zur heutigen Stunde! Seine Hand stützte sich schwer auf die Schreibtischplatte. „Würden Sie das auch gesagt haben, wenn hier nicht der Majoratsherr auf Zwiedeneck, sondern der elende entlassene Kolonialsoldat stände? Sie sank wie vernichtet in den Sessel * zuruck. „Das — das war ein Stoß mit einer vergifteten Waffe, Herr von Zwiedeneck!“ Er hob zu jäher Mahnung die Hand: „Ein Diener tritt drüben ins Gemach. Er würde jetzt nicht stören, wenn nicht wichtiges vorläge. Ich bitte um kurze Entschuldigung, gnädige Frau.“ Er ging hinaus. Eine Viertelstunde verging, ehe er wiederkehrte. „Pardon!“ sagte er mit eisiger Höf¬ lichkeit. „Aber mein bestes Pferd war in 4 Gefahr. Früher hätte ich es eher krepie¬ ren lassen, als mich von Ihnen für einen Augenblick getrennt. Sie sehen, wie sich die Dinge verändern —“ Er verstummte. Mit metalligem Auf¬ schlag war unter der Mantille Ellens her¬ vor ein Gegenstand auf den Teppich gefallen. „Ellen!“ schrie er auf und stand mit einem Sprunge an ihrer Seite, den ent¬ blößten Malayendolch vom Teppich auf¬ greifend. „Was haben Sie getan?!“ Unter den schwarzen Spitzen schob sich ihr feines weißes Handgelenk vor. Einem winzigen Schnitt entquollen ein paar pur¬ purne Tropfen: „Der Lebenden glaubten Sie nicht, Theo — der Sterbenden wer¬ den Sie glauben — nur Sie hatte ich geliebt, Theo!“ „Ellen!“ Wie ein jubelnder Freuden¬ ruf hallte es durch das Gemach. „Ellen! So wär' es doch wahr! Du liebst mich wirklich und ich darf noch auf ein Glück hoffen? —2 Sie starrte ihn an: „Ein Glück Siehst du denn nicht —“ Sie sah auf die kleine Wunde nieder und schauderte C zusammen. „In Minuten, sagtest du, —77 bringt jene Waffe den Tod „Nicht mehr!“ rief er. „Längst ließ ich die vergiftete Spitze abschleifen ... Sie sah ihn an, fassungslos. „Und ich sollte leben?“ rief sie mit ringendem Atem. „Jetzt leben?“ „Und glücklich sein, Ellen! Mit mir! Die Zeit der vergifteten Waffen zwischen uns ist vorüber — seit diese eine gezeigt, daß du mich wahrhaft liebst... Und vor ihr niederkniend, empfing er die Bebende, die schon von Todesschatten sich umweht glaubte und sich nun um¬ flossen sah von der goldenen Sonne eines neuen Lebens!

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