46 Aermel, befreiten ihn die Umstände schnell aus dem unwürdigen Dienstverhältnis, und eines Tages trat über die Schwelle des Schlosses Zwiedeneck ein Mann, noch ungebeugt, aber abgezehrt und fahl ge¬ bräunt von der dörrenden Sonne des malayischen Archipels. Das war der neue Majoratsherr Theo v. Zwiedeneck. Unter anderen Umständen hätte ihn die zuletzt bekleidete Unteroffiziersstellung für immer von der Gesellschaft getrennt. Für den reichen Majoratsherrn erhöhte sie nur das Interesse. Die ersten Mo¬ nate vergrub sich dieser auf Zwiedeneck, aber auf dem Feste der Ritterschaft, dem der größte Grundherr der Provinz nicht fern bleiben konnte, sah man ihn endlich. Und auf dem Feste sah auch er Ellen wieder, seit einem Jahre Witwe, und jetzt heißer von den Kavalieren umworben als „ in ihren Madchenjahren. Jäh erblaßt waren die Beiden, als ihre Augen sich trafen. Kein Wort hatten sie miteinander gewechselt, aber zehn Minuten später hatte Theo v. Zwiedeneck das Fest verlassen. Das war gestern gewesen. Theo saß in dem hohen, nußbaum getäfelten Arbeitszimmer des Schlosses, um ein paar Nuancen noch fahler als sonst, die Augen noch tiefer zurückge¬ sunken in ihren Höhlen. So sieht ein Mann aus, der eine schlaflose Nacht hin¬ durch mit seinen Erinnerungen gerungen und nicht überwunden hat! Wie schön sie doch geworden war. Ihr Anblick hatte alles das in seinem Herzen wieder erweckt, was er längst kalt und tot und eingesargt geglaubt. Und dock hatte sie ihn betrogen. Denn ihr Herz gehörte ihm bis zu jenem Tage, da das Billet von ihr kam: „Vergiß mich!“, das ihn den Dämonen des Weins und der Karten ausgeliefert. Um die Mittagsstunde noch saß er da, gefoltert von widerstreitenden Empfin¬ dungen. Da erschien ein Diener, ein silbernes Tablet in den Händen, mit einem schmalen elfenbeinernen Kärtchen darauf. Bei dem Blick darauf fuhr Theo zu¬ sammen, wie damals kurz nach seiner Ankunft auf Atschin, als sein Fuß auf eine schwarze Schlange trat, vor deren tödlichen Biß ihn nur die bis zum Knie reichenden Ledergamaschen bewahrten. Und doch standen auf dem Kärtchen nur zwei Worte: „Ellen Bornheimer. Schon schwebte eine schroffe Abwei¬ sung auf seinen Lippen. Dann umspielte sie ein bitteres Lächeln: „Ich lasse bitten!“ Aber er schritt der dunkelgekleideten schlanken Gestalt nicht entgegen. Hock aufgerichtet hinter seinem Schreibtisch sah er sie eintreten, sah er traurige, flehende Augen aus einem blassen Antlitz auf sich gerichtet. „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, gnädige Frau? Ein flackerndes Rot trat auf Ellens schöne Züge. Wie ein Hauch nur er¬ reichten sein Ohr die Worte: „Deine Verzeihung will ich, Theo!“ „Der Theo, dem Ihr „Du galt, ist tot, gnädige Frau. Er ist gestorben an der giftigen Waffe des Verrats, die Sie damals in sein Herz senkten. Mehr als gestorben, er ist daran verdorben! Und die Kugel oder der Kris der von Malayenhand ihm winkte, war ihm will¬ kommen. Er sehnte sich danach. Das Schicksal hat es anders bestimmt. Es hat ihm sogar das unerwartetste bescheert Sie wiederzusehen!“ „Theo!“ brach es von den Lippen der —— Frau „daß ich damals — ich konnte, ich durfte ja nicht an¬ ders „Gewiß nicht!“ stimmte er mit eisiger Höflichkeit bei. „Es ging nicht, mit dem —— armen Offizier zu hoffen und zu warten, 7 sobald der reiche Freier kam „Es war ja doch alles vorüber — so oder so, Theo,“ kam es leise von Ellens Lippen, „auch ohne den reichen Freier denn ein Zwiedeneck hätte sich nicht ver¬ binden dürfen mit der Tochter eines —7 — Zuchthäuslers Er sah, wie sie wankte. Und mehr von dem einen Worte, wie von ihrem Zu¬
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