Etwas kleinlaut kam Martha nach Hause; spöttisch blickten die Mutter und Resi auf Martha, die ihrerseits nicht wußte, was sie denken sollte. Sollte die Frau doch gelogen haben mit ihren guten offenen Augen? Nein, nein. Martha konnte es nicht glauben und wollte es nicht glauben; sie würde dann niemand mehr trauen, das wußte sie und mit nie¬ mand mehr Mitleid haben. Die Frau war vielleicht krank geworden, oder hatte irgend eine Abhaltung gehabt, wer weiß, sie würde gewiß wiederkommen; wie dumm aber auch, nicht nach der Adresse des armen Weibes gefragt zu haben. „Ich tadle nicht, daß du es ge¬ tan“, sagte der Vater zu ihr. „Ein andermal laß aber die Klugheit neben dem guten Herzen stehen, du hättest dir lassen Namen und Wohnung sagen sollen. Du bist noch jung, Martha, und hast noch keine trüben Erfahrungen ge¬ macht. Laß dir aber gesagt sein, daß die Menschen, und besonders auch diese armen Leute, oft entsetzlich heucheln und lügen. Es tut mir leid, daß ich dir deinen idealen Glauben an die Menschen etwas nehmen muß, mein liebes Kind, ich glaube aber, die Mutter und Resi haben recht, du bekommst deine Boa nicht wieder. Der Vater schien wahr prophezeit zu haben— es vergingen Wochen, die Frau war verschwunden. Trotzdem glaubte Martha nicht an Schlechtigkeit; sie war fest überzeugt, die arme Frau war krank oder — tot. In der Familie des Landrats rüstete man sich zum letzten Ball, zum großen Fastnachtsball. Martha und Resi hatten eben unter den Augen der Mutter, die ihrerseits schon in großer Toilette war die ihrige beendet. Wie schön waren die beiden Mädchen doch! Zärtlich ruhte der Blick der Mutter auf ihnen, stolz der¬ jenige des Vaters. Die Schwestern waren sich sehr ähnlich; Resi, ein lieb¬ reizendes Geschöpf, vielleicht die Schönere der Beiden, Martha fesselte besonders durch den seelenvollen Blick der großen, dunkelblauen Augen. Sie waren beide gleich gekleidet, weiße Kleider aus feiner 43 indischer Seide, mit Blumenguirlanden geschmückt, schmiegten sich weich an die graziösen, schönen Körper. Im dunklen Haar trugen sie frische Kamelien. Die sie Schwestern sahen sich strahlend an, dennso bewunderten sich gegenseitig verschieden sie auch im Charakter waren so liebten sie sich doch und vertrugen sick goldene gut, denn die wunderbare, Brücke, die man Liebe nennt, verband fest und innigst die beiden reizenden Ge¬ schöpfe. Im Tanzsaal angekommen waren sie sofort umringt und die Tanz¬ karten beschrieben. Sie gehörten zu den gefeiertsten Tänzerinnen der Residenz „ Da war sie wieder, die schone, vornehme 1* Mannererscheinung im schwarzen Frack, — der Doktor S. Nachlässig lehnte er an einer Säule, überblickte die Tanzenden und ging in der Pause zu Resi, um zu sehen, ob sie vielleicht noch einen Tanz Schon auf dem für ihn übrig habe. letzten Ball war er da, hatte sich Resi vorstellen lassen und war einer ihrer eifrigsten Tänzer gewesen. Martha hatte ihn schon das vorige Mal von der Ferne aus bewundert, denn er hatte sich ihr nicht genähert; sie neckte Resi viel mit ihm, diese schien es aber sehr oberfläch¬ lich zu nehmen, ihr Herzchen war wohl — ganz wo anders; da war ein gewisser Leutnant, der schon den Winter über zu ihren eifrigsten Kurmachern gehörte, der schien es ihr angetan zu haben. „Warum haben Sie mir keiner Tanz sagte aufbewahrt, gnädiges Fräulein?“ der Doktor vorwurfsvoll zu Resi. „Ja. ich konnte doch nicht wissen, daß Sie kommen,“ antwortete Resi lachend, „den¬ ken Sie nur, dann wäre ich am Ende sic Mauerblümchen gewesen“, fügte hinzu. Der Doktor lachte. „Sie und Mauerblümchen, das ist wohl undenkbar. Wir armen Aerzte,“ fügte er ernster hinzu, „sind ja nicht Herren unserer Zeit. Die Kranken gehen vor, und beson¬ ders ich, als Kassenarzt, habe doch auch meine armen Patienten, die eben solches Recht auf meine Besuche haben, wie die Heute Reichen und Wohlhabenden. wollte, Abend, als ich hierhergehen
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