30 Lächeln ist so hold und freudig, daß der alte Türke, der neben ihm schläft, seinen Anblick nicht hätte ertragen können. Der Gefangene wird übrigens noch immer von bösen Gedanken gequält, denn er wälzt sich fortwährend auf seinem Lager hin und her, und eine Träne rollt zeit¬ weise über sein Gesicht. Aber auch ihm chickt der Traumgott eine fröhliche Vision, und die Gesichtszüge des Schlä¬ fers verändern sich im Augenblick. Die verzerrten Muskeln spannen sich ab, und ein Lächeln huscht über den breiten Mund. Die Tränen auf den Wangen trocknen, denn der Gefangene träumt einen süßen Traum. Die Nacht neigt ihr schwarz verschleiertes Antlitz über ihn, sie murmelt ihm liebe Namen ins Ohr und sendet ihm Visionen des Glückes zu; dann huscht sie leise zu dem Komman¬ danten hinüber. Was gibt es denn da? Das sieht ja aus, als wenn er zittere? Die Nacht neigt sich über ihn und bedeckt ihn mit ihrem schwarzen Schleier. Wer in diesem Augenblick das Gesicht des schlafenden Offiziers betrachtete, würde von der plötzlichen Veränderung, die in diesem Gesicht vor sich gegangen, zurückschrecken. Seine Züge drücken Erstaunen und Furcht aus. Er versucht, sich zu erheben und die schweren Fesseln des Schlum¬ mers abzuschütteln, aber die Nacht hält ihn in ihrer Gewalt. . .. Sie hat ihre Hand dem Offizier auf die Brust ge¬ legt. . . . Er sieht . . . er sieht so Selt¬ sames, so Entsetzliches, daß ihm das Blut in den Adern erstarrt. . .. Ein schrecklicher Lärm erfüllt die vorher so ruhigen Zimmer seines Hauses. Die Kinder erheben sich in ihren Betten und richten die vor Furcht weit aufgerissenen Augen auf eine beunruhigende schwarze Wolke, die sich langsam über ihren Häuptern bewegt. Auch der Vater blickt hin. ... Die Wolke fällt noch immer. ... Die Kinder springen aus ihren Betten. * „ Der kleine Junge, der in dem Nebenzimmer schlief, kam auch herbei¬ gelaufen. ... Sie rufen die alte Magd *.. sie ist verschwunden . . . nur noch ein Haufen alter Lumpen liegt an der Stelle, wo sie geschlafen hat. Die Kinder schreien nach ihrer Mutter, doch die chwarze Wolke entzieht sich ihren Augen. Nun sind sie allein, ganz allein. Die ge¬ heimnisvolle Wolke senkt sich langsam auf die Erde, als tauche sie hinein in ein unendliches Meer. Endlich bemerken der Offizier und die Kinder, was sie bisher verhüllte. Sie sehen einen Leich¬ nam auf der Erde ausgestreckt, einen unermeßlich langen Leichnam, den vier kleine Kinder mit großen, schwarzen Auge ängstlich und traurig umstehen. Die Kinder weinen bitterlich, und ihre Tränen fallen auf den Leichnam nieder. ... Die Kinder des Kommandanten nähern sich ihnen und fangen an, den Körper zu betrachten, dessen grauer Kopf mit der großen Nase, der Wunde auf der Stirn, dem grauen Schnurrbart dem Kommandanten nur zu gut bekannt ist. Der Tote ist Mahmud Bey. * * * „Aber wer hat denn das getan?“ fragt das kleine Tochterchen des Kommandan¬ ten, dessen eben noch vom Schlummer gerötete Wangen plötzlich bleich werden. „Wer hat ihn getötet?“ fragt der echsjährige Knabe. Die Kinder des Türken wenden sich zu dem Kommandanten und zeigenmit den Fingern auf ihn. ... „Der da hat unseren Vater getötet ... ja er . . . er hat uns auf die Straße gesetzt und uns arm und elend ge¬ macht ... Der Kommandant will sprechen, will schreien. . . . Sein Herz springt ihm vor Angst fast entzwei, seine Zunge ist wie gelähmt, die Stimme erstickt ihm die Kehle. . . . Und er sieht, wie seine Kinder sich mit Abscheu von ihm wenden. Er will sich seinem Töchterchen nähern, aber dieses entflieht mit angst¬ verzerrten Zügen. . Mit einer Bewegung deutet sie auf die Hände des Kommandanten und schreit: „Blut! Blut!“ Der Offizier betrachtet seine Hände; das Mädchen hat Recht ... sie sind mit Blut besudelt. Nun will er sprechen, doch
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