Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

12 — Ist hier nicht — aha, da!“ und mit diesen Worten überschritt er eilends die Schwelle einer kleinen Kammer, in wel¬ cher Pferdegeschirr, Halfter, Stricke und derlei Sachen, wie sie beim Betriebe einer Landwirtschaft unentbehrlich sind, auf Pflöcken rings umher an den Wänden hingen. In der Ecke lehnte einer jener langen, schweren Stöcke mit gegabelter Eisenspitze, deren sich die Bewohner des Flachlandes bei ihren Gängen über Feld, namentlich im Winter, zu bedienenpfle¬ gen, da sie einerseits bei Glatteis, anderer¬ eits bei gelegentlichem Ueberspringen eines Grabens in kundiger Hand gute Dienste leisten. Kaum aber hatte seine Hand den Stock gefaßt, als plötzlich die — Tur des Kämmerchens gewaltsam zuge¬ schlagen ward und das Vorschieben eines Riegels sich hören ließ. „Dore!“ fuhr Fritz drohend auf, „was soll das? Zu schlechten Witzen ist jetzt wahrhaftig nicht die Stunde!“ „Fritz!“ sagte ihre zitternde Stimme, „es ist ja hier nicht die Rede von einem schlechten Witz, sondern von Mord und Totschlag, den du auf dich mit laden könntest! Versprich, o bitte, versprich mir, daß du ruhig nach Hause gehen und heute abend Peter nicht mehr aufsuchen willst!“ „Oeffne!“ schrie er außer sich vor Zorn. „Denkst du, ich ließe mir von dir etwas abtrotzen? Machst du nicht binnen jetzt und einer halben Minute die Tür auf, so sind wir geschiedene Leute!“ „O, mein Gott, besinne dich, Fritz! Ich darf dich so nicht von mir gehen lassen — allmächtiger Gott! Willst du denn Blutschuld auf dich laden?“ „Soll ich zum Spott und Hohn aller Menschen mich von einem Mädchen ein¬ sperren lassen wie ein Schulbube?“ stieß er, heiser vor Zorn, hervor, indem er „ an dem Griff der Tur rüttelte. „Zum letztenmal sag ich's: mach auf, oder es „ geschieht ein Ungluck! „Das Unglück kommt, wenn du deinem Jähzorn freien Lauf lässest!“ sagte Dore, und ihre Stimme klang auf einmal ruhig und fest. „Den Riegel, Fritz, schiebe ich zurück, sobald ich Peter gewarnt habe, daß er auf seiner Hut sein soll, eher nicht! Bist du selbst deiner Sinne nicht mächtig, so will ich dich davor bewahren, daß du tust, was nie wieder gut zu machen ist.“ Sie hörte durch die Bohlen der Tür hindurch, wie er mit den Zähnen knirschte, aber eine Antwort gab er nicht mehr. Ihr selber zitterten alle Glieder, jedoch ohne irgend welches weitere Besinnen eilte sie dem Hause zu, um ein Tuch aus ihrer Lade zu nehmen und dann unge¬ äumt ihren Weg anzutreten. Vor seinem Hause auf der Bank saß Peter Nettelmeier, die ausgerauchte Pfeife im Munde haltend und mit äußerst verdrießlicher und gelangweilter Miene vor sich hinsehend. Er hatte Dorens An¬ näherung wohl bemerkt, ohne indes zu ahnen, daß er selber derjenige sei, dem ihr eiliger Gang gelte. Jetzt gewahrte er plötzlich zu seiner Verwunderung, daß sie das Pförtchen in dem sein Gehöft nach der Straße zu abgrenzenden Lattenzaun öffnete. Der Hofhund erhob ein wütendes Gebell und Gemurr. „Will das Vieh ruhig sein? schrie Peter erbost. „Dore, laß dich nicht bange machen, ich will ihn gleich einmal mit der Peitsche traktieren.“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Das braucht's nicht, er schweigt schon von selbst, Tiere haben mich in der Regel gern.“ Sie holte tief Atem und fuhr dann fort: „Ich komme zu dir, Peter, um dir zu sagen, du möchtest auf deiner □ Hut sein vor Fritz Jentzen.“ „Was geht mich der an?“ fuhr Peter grob heraus. „Dem brauche ich nicht aus dem Wege zu gehen!“ „Ich denke doch!“ sagte Dore ihre Augen fest auf ihn richtend und die Worte nachdrücklich betonend. „Und soll ich dir noch erst sagen, warum? Fritz weiß seit heute nachmittag, daß du seinem Vater die Bienen vergiftet hast.“ „Das soll er beweisen!“ rief Peter trotzig, während er doch nicht verhindern konnte, daß eine fahle Blässe sich über ein Gesicht breitete.

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