Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

liko, der vor ihm, dem Kalchen, noch fort, und zu seinem Herrn in die Berge ge¬ laufen war, ohne Pferd und Waffen. Warum? — dem Weil er, der Kalch, verstockten braunen „Lausbuben“, doch noch eine Ohrfeige gegeben hatte. Nun würde wohl Alharde seiner Rache ret¬ tungslos anheimfallen. Alharde teilte des Vaters Befürchtun¬ gen keineswegs. Sie vernahm zwar mit Entsetzen die Kunde von den schrecklichen Verwüstungen ringsum, erhoffte aber immer noch irgend eine Hilfe von Re¬ liko. Denn sie wußte, wie dankbar er ihr die ihn so oft vor der Rohheit des Ritters in Schutz genommen, zugetan war. Und er galt ja, wie er ihr ja selbst auch mehr¬ mals versichert hatte, alles bei Ottokar, der ihn, den Sohn eines Walschen, schon als zwölfjahriges Bürschchen zu seinem tändigen Begleiter erkoren hatte, viel¬ leicht seiner eigenartigen Anmut und Zierlichkeit wegen. Nun waren es schon zehn Tage, seit¬ dem die Böhmen im Waldlande hausten und immer näher rückten sie auch dem hoch über der Ilz auf steilem Berge thronenden Schlosse Fürsteneck. Allstünd¬ lich fast kamen schreckensbleiche Boten ge¬ ritten, die Schauerliches von den slavi¬ schen Horden zu berichten wußten. Män¬ ner, Weiber und Kinder, welche sich von ihren bedrohten Heimstätten hinweg¬ geflüchtet, flehten auf Fürsteneck um Ein¬ laß, der ihnen, obwohl schon alle Räume gefüllt waren und die Lebensmittel be¬ reits zu Ende gingen, von Alharde ohne Zögern gewährt wurde. Denn sie dachte daß Reliko, wenn er überhaupt noch lebte, unmöglich mehr lange ausbleiben könne, weil ja, wie es allgemein hieß König Ottokar schon vor zwei Tagen die Grenze überschritten hatte. Er konnte nicht weiter denn höchstens einige Stun¬ den vor hier entfernt sein. Wie ihr Herz pochte bei dem Gedanken, den berühmten Przemysliden, von wel¬ chem ihr die Nonne Helay schon so viel erzählt, vielleicht bald mit eigenen Augen zu sehen. Er sollte ein hoher, stolzer Mann sein, vor dessen leuchtenden Blicken 9 Ob er jeder die seinen senken mußte. Ritter¬ wohl das Flehen eines armen räuleins um Schonung ihres Lebens und ihrer Heimat anhören würde, wenn es sich ihm demütig zu Füßen warf? Blassen Angesichts und zitternd vor Angst und Erwartung ging sie im Schlosse umher, sank bald in der Kapelle betend vor dem Altare nieder und stieg Zin¬ bald auf den Turm, um von dessen nen in die Ferne zu spähen. Da sah sie hier und dort Rauchsäulen aus den Wäl¬ dern emporsteigen, die ihr der Wächter der Ortlieb, als von den Lagerfeuern Böhmen herrühend, erklärte. Am elften Tage, als Alharde eben mit der alten Seiboltin und einigen Mägden in ihrem Gemache weilte, wurde plötzlich die Türe desselben ungestüm aufge¬ toßen und der nur schon zu wohlbekannte Alarmruf: „Die Böhmen kommen!“ her¬ geriet eingeschleudert. Das ganze Schloß in Aufregung. Auf den Gängen rasselte und klirrte es, die bischöflichen Soldaten und alle, die Waffen zu führen vermoch¬ ten, machten sich zur Verteidigung bereit. Vom Turme erscholl dumpf das Horn des Wächters. Alharde eilte auf den — Soller des Rittersaales, von welchem die Aussicht über den Berg hinab bis zur Ilz offen war. Ein Schrei entfuhr ihr, als ie da unten eine vorläufig gar nicht zu zählende Kriegsmenge erblickte, welche zum größten Teile das Wasser schon durchschritten hatte. Einige sprengten auf chnellen Pferden bereits auf das Schloß heran. Andere tummelten sich anscheinend zwecklos am Ufer. Viel hatten sich dort sogar gelagert. „Reliko, ob er wohl jetzt in der Nähe fragte ist, sein Versprechen einzulösen?“ sich Alharde, die Hände krampfhaft inein¬ anderschlingend. „Und wenn nicht, was dann?“ — Dann war ihr und allen, die sich im Schlosse befanden, ein viel grau¬ amerer Tod sicher, als ihn der Vater vielleicht bald auf dem Schlachtfelde fin¬ den würde, „Mein Gott, hilf uns, beschütze uns! rang es sich von ihren blassen Lippen.

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