Alharde Historische Erzählung I. s war an einem Frühlings¬ morgen des Jahres 1257, da ese prang die junge Alharde Kal¬ chin von Fürsteneck von ihrem Lager auf und an das Erkerfenster ihres Schlafgemachs, um durch dasselbe die Ursache eines Lärmes zu erspähen, der sie vor kaum einer halben Minute aus dem süßen Schlummer geschreckt hatte Sie schaute mit ihren schönen stahlblauen Augen wohl hinaus in den sonnenhellen Tag, sah aber nichts, wie hunderte, ja tausende von jungbegrünten Tannen¬ und Fichtenwipfeln und darüber das Azur des Himmels, so rein wie sonst kaum in den schönsten Junitagen. Der Friede Gottes schien mit den warmen Lüften draußen durch die Wälder zu wehen und doch — Alharde glaubte nicht daran. Zu wild waren vorhin das Ge¬ schrei und die Flüche gewesen, die an ihr Ohr gedrungen, und zu gut kannte sie ihren Vater, den Friedrich Kalch von Fürsteneck, als daß sie frommem Wähnen hätte Raum geben mögen in ihrem Her¬ zen. Die Kalchen, schon seit langem auf dem Schlosse Fürsteneck hausend, waren Raubritter, so gut, wie manche andere Burgbesitzer im passauischen Hochstift auch, wie z. B. die Puchberger, Wilden¬ steiner, Geiersberger, die Watzner von Watzmannsdorf, die reichen Urleinsberger u. s. w. Sie unternahmen mit einem ent¬ sprechenden Gefolge von berittenen Knech¬ ten Streifzüge nach allen Richtungen hin überfielen die Handelsleute, welche aus dem sogenannten goldenen Steige Salz und andere Waren von Passau nach Böh¬ führten, und beraubten sie, wenn men nicht immer ihres Lebens, so doch stets ihrer Habe und Freiheit. Wie viele solcher Unglücklicher hatte nicht Alharde selbst schon gesehen, von den rohen Burgknechten an Händen und „ Fußen gefesselt und nicht eher der Stricke entledigt, als bis sie sicher dort im Turme lagen, der so finster war, daß niemand Kalchin. von Emerenz Meier. als der Wächter ihn betreten mochte. Und was hatte sie nicht schon getan, um das Schicksal der Gefangenen zu erleichtern, die oft jahrelang im Kerker schmachteten, ehe ihre Angehörigen das geforderte Löse¬ geld aufbrachten. Ein Glück, daß der Wächter Ortlieb einen Schluck Bier oder Bischofswein mehr liebte, wie sein Leben und sich durch derlei Getränke bestechen ließ, je öfter, desto lieber. Da wanderten die köstlichsten Dinge aus dem Schlosse in den Turm und manch einer ließ der jungen Kalchin heißen Dank sagen für ihre Güte. Es war ihr in mehreren Fal¬ en sogar schon gelungen, bei ihrem Vater durch Trotzen oder Betteln die be¬ dingungslose Freigabe Gefangener zu er¬ wirken. Allerdings hatte da Friedrich Kalch seinen guten Tag oder einen jener Räusche haben müssen, wie er sie sich nur nach einem ausgiebigen Fang, manchmal auch zur Zeit größter Geldnot anzutrin¬ ken pflegte. Da war er dann so weich¬ mütig gestimmt, daß unaufhörlich Tränen seinen Augen entströmten und in den Zinnkrug rollten, aus dem er trank. Er nannte dann sich selbst den besten, aber unglücklichsten aller Ritter, und Alharde ein liebes einziges Menschlein. Alharde war nach ihrer Mutter Tod im Alter von 13 Jahren in Kloster Niedernburg zu Passau gebracht worden, wo sie nicht nur gut lesen und schreiben, sondern auch menschlich fühlen gelernt hatte. Nur un¬ gern war sie nach vierjährigem Aufent¬ halt dortselbst wieder heimgekehrt in den Wald, der, so groß und heilig er schien doch soviel blutige Gewalttätigkeit barg. Und heute, gerade vorhin, mußte wieder derartiges vorgekommen sein. Rupp, der schwarze Hofhund, bellte wie vom bösen Geist besessen, es klirrte und dröhnte irgendwo unten, Pferdegetrappel — ie konnte es und Gewieher erscholl nicht länger in ihrem Gemache aushalten. Nur die allernotwendigste Kleidung über¬ werfend und das wirre blonde Haar mit einem weißen Tuche bedeckend, eilte sie
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