Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

70 1905, um 9 Uhr abends, kam dem Oberkomman¬ dierenden der Belagerungsarmee ein Schreiben des Generals Stössel zu, in welchem „weil jeder Widerstand jetzt nutzlos sei“ —ein Vor¬ schlag, betreffend die Uebergabe Port Arthurs enthalten war. Der in diesem Briefe von Ge¬ neral Stössel vorgebrachte Wunsch, Uebergabs¬ unterhandlungen zu eröffnen, wurde von Seite der Japaner angenommen und daraufhin die Feindseligkeiten eingestellt. Am 2. Jänner 1905, mittags, traten bereits Offiziere der beiderseiti¬ gen Generalstäbe zusammen, um die Uebergabs¬ bedingungen zu vereinbaren. Noch am selben Tage, abends um ¾10 Uhr, unterzeichneten die beiderseitigen Bevollmächtigten das die Uebergabe Port Arthurs betreffende Uebereinkommen, und am 3. Jänner waren auch die letzten Verhand¬ lungen, betreffend die Modalitäten der Ueber¬ gabe, vollendet. Am 4. Jänner wurde mit der faktischen Uebergabe des russischen Kriegsmaterials und Regierungseigentums an die Japaner be¬ gonnen und dieselbe auch beendet. Vom 4. Jänner an wehte allenthalben über Port Arthur das weiß=rote Sonnenbanner Japans. Am 5. Jänner marschierte die russische Garnison aus Port Arthur aus, um sich als Kriegsgefangene dem Sieger zu überantworten, und am 13. Jänner endlich erfolgte der feierliche Einmarsch der Ja¬ paner in die bezwungene russische Festung. Damit war der letzte Akt der Tragödie vor Port Arthur abgespielt. Ueberraschend große Kriegsvorräte und 41.600 Kriegsgefangene, darunter 8 Generäle, 4 Admiräle, 878 Offiziere und bei 27.000 waffenfähige Mannschaften fielen den Japanern in die Hände. Den Offizieren wurde gegen Ab¬ gabe des Ehrenwortes, an dem Kriege nicht mehr teilzunehmen, Freilassung gewährt. Die hohe Zahl der kriegsgefangenen kampffähigen Mann¬ schaft und die ungeheueren Munitionsvorräte, welche die Japaner erbeuteten, überraschte allge¬ mein, erregte die Verwunderung der Welt, da man russischerseits verkündet hatte, daß zum Schlusse nur eine „Handvoll Leute“ noch den Waffendienst in Port Arthur versehen und daß Mangel an Munition die Uebergabe erzwungen habe. Das Heldenlied, das man General Stössel und seinen Getreuen während der letzten Tage der Belagerung und auch noch nach der Ueber¬ gabe gesungen, verstummte plötzlich. In die Hei¬ mat — nach Abgabe des Ehrenwortes zurück¬ — gekehrt, wurde Stössel denn auch vor ein Kriegs¬ gericht gestellt, eine Entscheidung ist aber — unseres Wissens — bisher nicht erflossen. So rasch sich aber auch die Begeisterung für Stössel — den „Helden von Port Arthur“—gelegt das eine ist doch sicher, daß Port Arthur auf die Dauer nicht zu halten war, und daß es eine Menschlichkeitspflicht des Kommandierenden von Port Arthur war, der unnützen Menschen¬ schlächterei Einhalt zu tun. Die Nachricht vom Falle Port Arthurs klang denn auch der Welt wie ein lange herbeigesehntes Wort der Erlösung! In der Mandschurei geschlagen, Port Arthur verloren — das waren zwei harte Prüfungen für den Ruhm und den Stolz der russischen Land¬ armee. Schlimmer, weit schlimmer noch erging es aber der russischen Seemacht, welche ja den ersten Ansturm der Japaner zu ertragen hatte, und gleich bei dieser Gelegenheit einen großen Teil ihrer Port Arthur=Armada vernichtet, einen anderen Teil derselben in dem Hafen der Festung zur Untätigkeit verurteilt sah, und dem Feinde die ostasiatischen Gewässer für seine Operationen zur See freigeben mußte. Als sich der Ring um Port Arthur immer enger legte und dem im Hafen dieser Festung verankerten und versteckten Reste der Port Arthur=Flotte bereits um sein künftiges Schick¬ sal in dieser Feste bange zu werden begann, ver¬ uchten diese Schiffe, nicht gewitzigt durch das Mißlingen der ersten Fluchtversuche der Flotte, welche dieser (am 13. April 1904) den Panzer¬ kreuzer „Petropawlowsk“ und den Admiral Ma¬ karow kosteten, am 10. August 1904 einen zweiten Fluchtversuch, welcher aber noch verhäng¬ nisvoller verlief, denn ein Teil der flüchtigen Schiffe wurde von der japanischen Blokade¬ flotte in dem bei der Felseninsel Gugan ent¬ brannten Kampfe vernichtet, ein anderer in alle Windrichtungen zersprengt, um in neutralen Häfen desarmiert und interniert zu werden, wäh¬ rend der Rest nach Port Arthur zurückkehren mußte, um dort dann später den schweren Be¬ lagerungsgeschützen der Japaner wehrlos zum Opfer zu fallen. Der Kommandant des Port Arthur=Geschwaders, Admiral Withöfft, fand bei dieser unglücklichen Seeaffäre seinen Tod. Das Wladiwostok=Geschwader, welches unter Admiral Skrydlow in den ersten Kriegs¬ zeiten tapfer wehrlose Handelsschiffe abfing oder vernichtete, ohne Eskorte von Kriegsschiffen fahrende japanische Transportschiffe mit Mann

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