52 Die sechs Fenster der drei Zimmer, die Herr Felix bewohnte, gingen nach dem Hofe auf ein Nebengebäude, das in glei¬ cher Höhe angebaut war. Er konnte dem¬ nach, wenn er seine stets niedergelassenen Vorhänge lüftete, deutlich die Fenster der Zimmer jener seitwärts liegenden Woh¬ nung überschauen. Es war am Donners¬ tag vor dem zum Feste bestimmten Sonntag, als das erstemal die hoch¬ stehende Mittagsonne recht heiß und un¬ erträglich auf die niedergelassenen Gar¬ dinen der Fenster brannte, hinter denen Herr Paumgartner, in tiefes Nachdenken versunken, schrieb und arbeitete. „Zieh den Vorhang zur Hälfte auf, Benjamin“ sagte er zu dem eintretenden Diener, „und öffne die unteren Flügel daß der Luftzug einströmt.“ Still und wortlos, wie alle Aufträge, die ihm sein Herr erteilte, vollzog dies Benjamin. Der einziehende Luftzug war so erquickend, daß Herr Felix einen Augenblick seinen Schreibtisch verließ und ans offene Fenster trat. Dieser Augenblick entschied über sein Schicksal. In einem der Zimmer des anderen Flü¬ gels stand bei weitgeöffneten Fenstern Aurora mit einer ihrer Schwestern vor einem großen Pfeilerspiegel. Sie hatte das Kleid, welches sie am Bankett zu das schmücken bestimmt war, angezogen reiche, dunkelblonde Haar floß entfesselt Sie sah über den Nacken herab .. .. wunderbar schön aus. Das eitle Mäd¬ chen hatte dem Drange nicht zu wider¬ stehen vermocht, sich im voraus so zu sehen, wie sie zum bevorstehenden Feste erscheinen würde. Das laute Gespräch und Lachen lenkte die Blicke des ernsten Mannes hinüber, und als ob jeder kleine Umstand die traurige Bedeutung dieses Augenblickes vollenden sollte, mußte die¬ selbe hochstehende Mittagsonne, die so heiß auf Paumgartners Fenster brannte die gegenüber liegenden in tiefe Schatten legen. So vermochte der düstere Mann Aurora in ihrer ganzen strahlenden Schönheit zu überschauen. Er sah lange, lange nach ihr hin, er sah auch dann noch starr nach dem Fen¬ ster hinüber, als sie längst seinen Blicken entschwunden war. Von diesem Augen¬ blick an gab es aber für seine Seele nur einen Gedanken: Aurora! Er war von einer schrankenlosen, unüberwindlichen Leidenschaft für sie, die stärker war als sein Wille, ergriffen. Er war beinahe ein Fünfziger, Au¬ rora zählte noch nicht ganz achtzehn Jahre. Das schöne Mädchen war zwar eitel und gefallsüchtig, aber ihr Herz war unschuldig, und wenn sie auch durch ihre kindische Koketterie dem armen Theobald so liebte sie namenlose Qualen bereitete Herr Felix ihn doch innig und wahr. Paumgartner war kein unedler Verfüh¬ rer; er war ein Ehrenmann, dazu ja ein Mann, der die Welt gewiß so gründlich und abschreckend hatte kennen gelernt, daß er, um sein Selbst zu retten, ihrem Stru¬ del entflohen war. Aber dieser Mann liebte jetzt. Er, der Fünfzigjährige, liebte jetzt zum erstenmal und mit einer Glut und einer Leidenschaft, die vernichtend wirken mußte, wenn sie nicht Erwiderung fand. Unfähig, sich nur noch auf Tage zu beherrschen, warb er bei ihrem Vater schon am folgenden Tage um sie, und zwar in derselben Stunde, in welcher der Gehilfe Theobald Steiner durch seine unnachahmliche Kunstfertigkeit ein Ge¬ schmeide vollendet hatte, das die Bürger¬ meisterin beim Bankett zieren sollte. Dies „ Meisterstuck der Kunst hatte Vater und Tochter gleich begeistert, und um seine väterliche Neigung, die er schon längst für Theobald hegte, durch den höchsten Liebesbeweis zu krönen, legte der ent¬ zückte Meister, das köstliche Geschmeide wie zur Feuerprobe auf das schöne Haupt der Tochter setzend, ihre feine, zarte Hand in die rauhe des überglücklichen Gehilfen, sie zur Verlobung vereinend. Zur selben Stunde wurde die gleich ehrenvolle, aber ungleich glänzendere Werbung des Herrn Felix Paumgartner denn er war vornehm und reich mit allem Zartgefühl und aller Ehr¬ erbietigkeit abgewiesen.
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