hatte, erreichte ich das Ufer des Var setzte eine halbe Meile unterhalb der Holzbrücke über den Strom, stürzte mich in das Pinienwäldchen, das jenseits der Grenze auf sardinischem Gebiet liegt und durfte endlich auf italienischem Boden rasten Wie ich dann, obschon in verhältnis¬ mäßiger Sicherheit, meine Reise auf den unbesuchtesten Wegen fortsetzte, nachdem ich im ersten Dorf eine Feile gekauft und meinen Knöchel von dem Eisenring be¬ freit hatte — wie ich mich in der Um¬ gegend von Nizza herumgetrieben, bis mein Bart= und Haupthaar gewachsen —wie ich mich dann bis Genua war durchbettelte, wie ich im dortigen Hafen meinen kärglichen Unterhalt durch jeg¬ liche Arbeit, die sich mir bot, verdiente und mich so durch den strengen Winter kämpfte. Wie ich zu Anfang des Frühlings an kleinen Kauffahrers von Ge¬ Bord eines nua nach Fiumicino für meine Ueber¬ fahrt arbeitete — und wie ich, langsam in einer mit Oel und Wein beladenen Barke den Tiber hinauffahrend, eines M Abends im Marz am Riyetta=Quai in wie sich all dies ereig¬ Rom landete — nete und welche körperlichen Mühsale ich in jener Zeit erduldet habe, kann ich hier nicht näher ausführen. Rom war das Ziel meiner Wanderungen gewesen, und ich hatte es endlich erreicht. In einer so großen Stadt und so weit von dem Schauplatz meiner Gefangennehmung entfernt, fühlte ich mich sicher. Ich durfte hoffen, meine Talente und Kenntnisse zu verwerten. Vielleicht traf ich sogar Freunde unter den Fremden, welche sich dort zur Österfeier zu versammeln pfleg¬ ten. Voller Hoffnung bezog ich eine be¬ scheidene Wohnung in der Nähe des Quai, opferte dem Genuß meiner Frei¬ heit und den Sehenswürdigkeiten von Rom einige Tage und suchte dann nach einer regelmäßigen Beschäftigung. Indessen war es nicht so leicht, Be¬ schäftigung irgend welcher Art zu finden. Die Zeiten waren infolge einer schlechten Ernte und eines ungewöhnlich strengen 41 Winters trostlos. Dazu waren in Neapel Unruhen ausgebrochen und die Zahl der Frühjahr Fremden belief sich in diesem auf Tausende weniger, als in sonstigen Jahren. Eines so trübseligen Karnevals konnte man sich seit langer Zeit nicht er¬ innern. Die Maler hatten keine Gemälde die Bildhauer keine Statuen verkauft. Die Kameenschneider und Mosaikarbeiter waren am Verhungern. Die Krämer, die Hotelbesitzer, die Ciceroni, alle klagten bitterlich. Von Tag zu Tag schwanden die wenigen Skudi, welche ich auf der Fahrt zusammengescharrt hatte. Ich hatte gehofft, eine Stelle als Buchhalter oder Sekretär zu erhalten oder in irgend einer öffentlichen Bibliothek beschäftigt zu werden. Jedoch nach Ablauf von drei Wochen wäre ich schon gerne bereit ge¬ wesen, ein Atelier zu kehren. Und so kam endlich ein Tag heran, an dem ich nur noch den Hungertod vor mir sah, an dem mein letzter Bajocco ausgegeben war mein Patron mir die Türe vor der Nase zuschlug und ich weder wußte, wo ich meinen Hunger stillen, noch ein Unter¬ kommen suchen sollte. Den ganzen Nach¬ mittag irrte ich hoffnungslos durch die Straßen. Es war gerade Karfreitag. Die Kirchen waren schwarz behangen, von vielen Andächtigen besucht und in den Straßen wim¬ melte es von schwarzgekleideten Menschen Ich trat in die kleine Kirche Santa Mar¬ tina. Hier wurde eine Miserere, zwar nicht sehr kunstvoll, aber mit solchem Phatos gesungen, daß meine Verzweif¬ lung dadurch zum völligen Ausbruch kam. Als Obdachloser übernachtete ich unter einem dunklen Bogen nahe dem Theater Marcellus. Ein herrlicher Tag dämmerte herauf, als ich mich fröstelnd in den Sonnenschein hinausschleppte. An eine durchwärmte Mauer geschmiegt, beschäf¬ tigte ich mich mit der trüben Frage, wie lange es wohl der Mühe lohnen würde, die Qualen des schrecklichen Hungers zu erdulden, und ob das braune Wasser der Tiber tief genug sei, um einen Menschen zu ertränken. Es erschien mir als ein grausames Geschick, so jung sterben zu
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