Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

29 Nemesis. (Nachdruck verboten.) Eine Gaunergeschichte von Arno Feld. — befleckten Taschentuch vor dem Gesicht as ist aber nett,“ sagte einer der wieder erschien, wurden allerlei Fragen fünf Herren, die ein Abteil 9 an ihn gerichtet. zweiter Klasse des von Ham¬ burg nach Berlin fahrenden Die blauen, ernsten Augen des jungen Schnellzuges bestiegen, „daß wir ein lee¬ Mannes ruhten mit größter Milde auf res Coupé erwischt haben. Da können einen Reisegefährten, als er erwiderte, wir's uns gemütlich machen und Karten es geniere ihn durchaus nicht, wenn die spielen. Hoffentlich bleibt der eine Platz Herren spielten; und er war auch gern auch frei. bereit, den Eckplatz einzunehmen. Von da Bald darauf erscholl draußen der Ruf: aus hatte er es schließlich noch bequemer „Einsteigen! Einsteigen!“ Dann ertönte bis zu dem Waschraum. ein schriller Pfiff, das Zeichen zur Ab¬ „Vielleicht nehmen Sie mal ein Stück¬ fahrt des Zuges, als die Tür aufgerissen chen Watte mit Branntwein getränkt und ward und ein Herr hineinsprang, hinter schieben es in die Nase, das soll gut sein dem der Schaffner mit einem ärgerlichen gegen Nasenbluten,“ meinte Herr Holz¬ Ausruf die Tür zuschlug. Ju¬ mann, der Reisende einer großen Der zuletzt gekommene Eindringling wvelenfirma Hamburgs. hielt ein blutbeflecktes Taschentuch vor Der junge Mann lächelte dankbar, das Gesicht, das er auch nicht wegnahm, schüttelte aber den Kopf. als er sich auf den leeren Platz nieder¬ ihren Kindern „Meine Mutter steckte ließ. Er trug einen sehr langen schwar¬ bei Nasenbluten stets einen kalten Haus¬ zen Rock und hatte ein blasses Gesicht. schlüssel in den Rücken,“ warf Herr Hinter dem Taschentuch, das er unaus¬ Brand ein. „Ich habe freilich keinen gesetzt vor das Gesicht hielt, schauten die Hausschlüssel bei mir Spitzen eines kleinen, schwarzen Schnurr¬ „Wir können ja irgend einen anderen bartes hervor. kalten Gegenstand nehmen, denn bloß die An das Abteil grenzte ein Waschraum, Kälte ist's, die das Blut erschrecken soll, in welchen der junge Mann nach einer bemerkte Herr Schramm, ein anderer Weile verschwand. Geschäftsreisender. „Das ist ja zu dumm,“ schimpfte Herr Der junge Mann dankte für alle diese Brand jetzt los, muß der nun sich auch guten Ratschläge und meinte mit leiser, gerade in die Mitte setzen. Jetzt können aber wohlklingender Stimme, es sei am wir doch gar nicht in Ruhe spielen.“ besten, er lasse es ausbluten, und damit „Man könnte es ihm ja sagen, viel¬ begab er sich abermals in den Wasch¬ leicht setzt er sich dann in die Ecke, so raum. daß wir zusammensitzen können,“ meinte Die fünf Herren begannen zu spielen Herr Holzmann. und waren bald so in Eifer geraten, daß „Wenn es nun aber sein Gefühl ver¬ ie das Aus= und Eingehen des Reise¬ manche Leute denken, die Karten letzt — gefährten in den Waschraum nicht mehr seien des Teufels Handwerkszeug! sehr beachteten. so meinte ein Dritter. „Der Mann sieht Als der Zug sich Ludwigslust näherte ernst aus, daß man ihn für einen Geist¬ und der schrille Pfiff der Lokomotive das lichen halten könnte!“ Zeichen zur Einfahrt gab, verschwand der „Ach, was geht denn uns das an! Wir Mann abermals in den Waschraum und können ja auch erst fragen, ob's ihn blieb diesmal so lange, daß einer der stört!“ Geschäftsreisenden plötzlich den Kopf er¬ So redeten sie durcheinander und als hob und meinte: der junge, blasse Herr mit dem blut¬

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