Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

24 hier zu Lande noch gar nicht kennt, sie nennen es das Trapez. Auf euer Wohl, Patagonier!“ Wir tranken als Erwiderung auf sein Wohl und Mr. Rice beschrieb uns die ganze Sache. Es handelt sich um verschie¬ dene Kunststücke an einem Holzgestell und das gleichzeitige Aufsteigen eines Ballons. In einiger Entfernung unter der Gondel sollte eine dreieckige, hölzerne Vorrichtung, die man Trapez nannte, angebracht wer¬ den. Von der unteren Stange der Basis des Dreiecks sollte einer von uns, der im Falle eines Unfalls mit einem starken Lederriemen um den Knöchel daran be¬ festigt war, herabhängen. Während sich der Ballon erhob, und der eine kopfab¬ wärts mit aufstieg, sollte der andere seine Hände ergreifen, indem er auf seinen Wunsch auf irgend eine Weise mit seinem Gefährten zusammengebunden wurde. In dieser Stellung sollten wir dann, so lange der Ballon in Sicht blieb, unsere gewöhnlichen Kunststücke machen. „Das klingt alles gefährlicher, als es eigentlich ist,“ versicherte Mr. Rice. „Die Bewegung des Ballons durch die Luft ist so ruhig und unmerklich, daß Sie, das Bewußtsein, daß Sie sich über den Dächern der Häuser befinden, abgerechnet, so bequem als hier im Garten arbeiten können. Ueberdies spreche ich zu kühnen Männern, die ihre Kunst verstehen und ich durch eine Kleinigkeit nicht zurück¬ schrecken lassen, nicht wahr Patagonier?“ Griffiths schlug mit der Hand so derb auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. „Ich bin bereit, Mr. Rice!“ sagte er mit einem Fluche. „Bin sogar erbötig allein aufzusteigen, wenn sich jemand an¬ ders fürchtet, mich zu begleiten.“ Er sah mich bei diesen Worten mit so höhnischem Lächeln an, daß mir das Blut ins Gesicht schoß. „Wenn du mich damit meinst, John, versetzte ich schnell, „so versichere ich dir, daß ich mich ebenso wenig fürchte, als du; venn das alles ist, so bin ich noch heute zu der Luftfahrt bereit.“ Und wenn ich mich ein ganzes Jahr bemühen wollte, den Ausdruck, den seine Züge bei meinen Worten annahmen, zu beschreiben, so würde es mir dennoch nicht gelingen. Mir war, als erstarrte jeder Blutstropfen in mir. Damals vermochte ich mir diese Empfindung nicht zu deuten, päter wurde mir alles klar. Mr. Rice war natürlich über unsere Bereitwilligkeit sehr erfreut und wir wechselten nur noch wenige Worte über die Sache. Mr. Steines wurde mit seinem berühmten Württemberger Ballon en¬ gagiert; man mietete noch fünfzehn¬ hundert farbige Lampen zur Aus¬ schmückung, und Griffeths und ich sollten eder außer unserer Gage für den Abend zwölf Pfund erhalten. Arme Ally! In der großen Aufregung hatte ich gar nicht an sie gedacht und erst als ich das Theater verlassen hatte und mich auf dem Heimwege befand, fiel mir ein, daß ich ihr die Sache mitteilen mußte. Ich glaubte für meine Person nicht die geringste Gefahr, wußte aber sehr wohl, wie die Sorge alles vergrößern würde und wurde immer unruhiger, je näher ich Islington kam. Ich war denn auch wirk¬ ich so feige — ich bin stets feige, wo Weiber im Spiele sind — daß ich es ihr an diesem und dem nächsten Tage nicht zu sagen wagte und erst, als wir am Sonn¬ tag Nachmittag beisammen saßen, faßte ich Mut, mit ihr darüber zu sprechen. Ich hatte wohl eine Szene befürchtet, hatte aber dennoch keinen Begriff von der Verzweiflung, in die sie geriet, und gestehe ehrlich, daß, wenn die Anzeigen nicht bereits erschienen gewesen wären, und ich ehrenhalber mein Versprechen halten mußte, ich da noch zu Mr. Rice gegangen wäre und die ganze Sache zu¬ rückgewiesen hätte. Armer, kleiner, weich¬ herziger Liebling! Es war für sie und für mich eine schwere Prüfung und ich war ein rücksichtsloser Mann, daß ich ihre Gefühle nicht gleich zuerst in Betracht gezogen hatte. Jetzt war es nun aber un¬ abänderlich; ich gab ihr also nur nock durch das Versprechen, daß ich mich zuerst an das Trapez binden lassen wollte, den einzigen Trost, den es in meiner Macht lag, ihr zu geben. Das war entschieden

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