Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

12 ein Kind du noch bist! In deinem Alter wußte ich solche Erlaubnis, welcher auch, wie du leicht merken kannst, die Zustim¬ mung der schönsten Frau nicht fehlt, schon besser zu würdigen.“ „Reliko,“ sagte Alharde, nun ebenfalls lächelnd, „hat es wohl um mich verdient, daß ich ihn küsse. Komm, lieber Knabe, und nimm auch dies Kettlein von mir als Andenken und als Pfand meines Ge¬ löbnisses, dich stets dankbar im Herzen zu hegen, solange ich atme. Gott der Herr beschütze dich, kleiner Reliko!“ Sie nahm die goldene Kette von ihrem Hals und hing sie dem Knaben um. Als ie ihn aber küssen wollte, wich er zurück, bückte sich jedoch gleich darauf und führte den Saum ihres Kleides an seine Lip¬ pen. „Das ist seine Art,“ nickte Ottokar. „Er mag es so zufrieden sein. Nun aber, holde Alharde, steht noch einer hier, der sich glücklich schätzen würde, von Euch ebenfalls irgend ein Zeichen Eurer Gunst zu erhalten. Könnt Ihr ihm nichts ge¬ währen, das ihn als teures Unterpfand derselben auf seinem dornigen Lebens¬ pfad begleiten und an diese einzig schöne Stunde erinnern könnte?“ Alharde senkte verwirrt das Haupt. Ihre Stimme zitterte, als sie leise sagte: „Was hätte eine arme Maid, wie ich, einem Könige zu geben?“ „Ich stehe nicht als König vor Euch, sondern als ein Mann, dem die Begeg¬ nung mit Euch unvergeßlich bleiben wird!“ „Nun denn, so laßt Euch sagen, daß auch ich Eurer bis zum Tode nicht ver¬ gessen werde. Nehmt die goldene Spange sie ist zwar schlicht, aber mir teuer, weil meine verstorbene Mutter sie getragen.“ „Gabe für Gabe!“ rief der König rasch. „Tragt Ihr von mir dies Ring¬ lein. — Und — so wahr ich an Gott ich werde Euch, kehre ich glaube,— anders heil aus dem Feldzuge zurück in Bälde wiedersehen. Lebet wohl!“ Er beugte sich zu ihr nieder, küßte sie auf den Mund und schritt dann, ohne sich noch einmal umzusehen, aus der Türe. „Lebet wohl, Alharde!“ flüsterte Re¬ liko, indem er langsam seinem Herrn folgte. Seine Augen standen voll Tränen. IV. Etwa zwei Monate später war es, an einem heißen Augusttage, als im Schlosse Fürsteneck zwei böhmische Reiter Einkehr hielten. Es waren müde, gebeugte Ge¬ stalten, die sich kaum mehr auf ihren dürren Kleppern aufrecht zu halten ver¬ mocht hatten. Und als sie im Hofe ab¬ gestiegen waren, hatten sie noch gerau¬ mer Zeit bedurft, sich soweit zu erholen, um dem ihnen voranschreitenden Vogte Leuprecht die Treppe hinauf ins Schlo߬ gebäude folgen zu können. Im kühlen Flur hieß dieser sie auf eine Steinbank niedersitzen und warten bis er seine Herrin Alharde von ihrer Ankunft verständigt hätte. Er würde in¬ zwischen jemanden mit Speise und Trank zu ihnen heruntersenden. „Saget nur, daß wir seien jene, die vor Zeit hier worden fangen sind mit Reliko,“ rief einer der Männer ihm nach. „Und wir haben viel schlimme Mähr zu bringen von Ottokar, unserm Herrn.“ „Als ob ich euch nicht gleich erkannt hätte, trotz eures erbärmlichen Aus¬ „Der sehens“ brummte Leuprecht. Kuckuck möge euch holen! Kein Gras wächst mehr auf dem Fleck, wo ihr den Fuß hinsetzt. Der Alte hatte mit diesen Behauptun¬ gen nur allzu recht. Denn das Land war verwüstet und verseucht seit dem Durch¬ zuge der Böhmen. Ueberall, wo man hin¬ ah, erblickte man nichts als zerstampfte Fluren, verbrannte Ortschaften, heimat¬ lose, sieche Menschen. In Fürsteneck selbst war das graue Elend ein unverjagbarer Gast geworden. Die Bewohner litten Not, da nirgends Lebensmittel aufzutreiben waren. Man hatte schon Pferde geschlachtet und Brot aus zermahlener Baumrinde gebacken, um die Leute damit zu sättigen. Die Reisigen und der größte Teil der männ¬

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2