Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

116 „Bist ein armes, aber rechtschaffenes Ding“, hatte ihre Frau Godel gesagt, als die Gundel ihr diesen Entschluß mit¬ geteilt hatte, „wirst Gottes Lohn dafür erhalten, vermein ich!“ Und Gottes Lohn sollte für die ehr¬ ein liche Haut nicht ausbleiben, denn als m Jährlein um war, erschien draußen Erbpachthofe plötzlich der ehemalige Leib¬ der knappe des Abtes von Garsten, er Seilerer Paul, und erzählte freudig wäre durch Arbeit und Sparsamkeit und einen kleinen Zuschuß seitens seines Herrn Vaters jetzt in der Lage, sich als Seiler¬ meister in Losenstein niederzulassen, es fehle ihm aber noch etwas Wichtiges dazu. „Was das wohl sein könne?“ fragte ihn die Frau Erbpächterin und lächelte nach der Gundel hin, denn sie wußte so wie so von der Lieb der Gundel zu Paul und hatte sich jetzt keine guten Aussichten mehr davon versprochen. Ei, was könnt mir als Meister denn noch fehlen?“ fragte Paul gar schelmisch „eine Frau Meisterin, die nachsieht im Hause nach dem rechten und den Meister ein wenig zu dämpfen versteht, so er gar zu übermütig wird — wie denkt ihr denn, Frau Erbpächterin, wär das nicht eine gar prächtige Meisterin für mich, die Gundel? Der Gundel entfuhr ein leiser Schrei und sie wurde rot über und über und sah mit nassen Augen zu Boden, denn nach so viel Unglück war das fast zu viel Glück für sie. Die Erbpächterin aber sah lächelnd erst die Gundel an und —die dann den Paul und nickte leicht Leutchen gehörten doch zusammen, zwei das schien ihr eine ausgemachte Sache. „Was ich darüber denk, ist wohl Nebensach für euch, Herr Paul“, meinte sie endlich bedächtig, „Hauptsach ist, was die Gundel dazu meint, und die sagt doch wohl ja, na, nit? Und sie hob der Gundel mit dem Zeigefinger den Kopf in die Höhe. „Wenn er mich noch will, der Paul“. meinte die Gundel und weinte laut auf vor Glückseligkeit. So war's denn abgemacht und einige Wochen später führte der Paul die Gundel als Frau Seilermeisterin nach Losenstein heim und die Frau Erbpächterin steuerte ihr Godenkind aus wie eine Mutter Als das junge Ehepaar nach seiner Ankunft bei sich zu Hause auspackte, suchte die Gundel eifrig nach etwas und als sie es gefunden, wickelte sie das Bildchen denn ein solches war es, behutsam aus dem seidenen Kopftuch heraus, in das es eingehüllt gewesen, und hing es in der guten Stube über dem Tische an die Wand. Ihr Mann sah erst auf das unscheinbare Bildchen, welches dasselbe war, das Gundel einst vom Herrn Pfarrer zum Geschenk erhalten und das sie, als sie das Elternhaus verließ, zur Frau Godel mitgenommen hatte, und schielte dann fragend zu seiner Frau hinüber „Weißt, Paul“, sagte erklärend die Gundel, „ich halt so viel darauf! Schau nur den Kelch dort an und auch den Spruch“, und als Paul denselben gelesen hatte, drückte ihm Gundel warm die Hand und meinte „Sieh, jeder hat seinen Kelch des Leidens — an uns ist er, Gott¬ lob, diesesmal vorübergegangen! Amen!“ SE

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