Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

mir aus den Augen, sonst geschieht ein Unglück!“ Und er hob drohend die Hand gegen seine Tochter und es schien wirklich, als wolle er Gundel schlagen. Diese aber, bisher immer noch ehrerbietig dem Vater gegenüber, trotz dessen unväterlichen Be¬ nehmens, trat einen Schritt zurück und sagte blitzenden Auges: „Schlagt nicht zu, Vater, ich bitt euch, hab's nit verdient! Weiß' wohl, warum ihr mich nit leiden könnt, geht mich nichts an, und damit ihr seht, daß ich euch eine folgsame Tochter bin, geh ich zur Stund' noch aus dem Hause! „Das erleb' ich ja doch nimmer polterte der Meister mit den Händen wild herumfuchtelnd, „denkst doch nur auf mein Geld, und sterb ich und du bist im Haus, kannst du da wohl leichter räumen“ für dich Er belferte in sich übersprudelnden Worten noch fort; Gundel aber, die bei den Worten ihres Vaters eine derbe Ant¬ wort auf der Zunge hatte, unterdrückte diese und ging in die Küche hinaus, wo sie den Auftritt ihrer Mutter erzählte und ihr auch ihren festen Entschluß kund gab, heute noch das Haus zu verlassen. „Recht so“, pflichtete die Meisterin ihrer Tochter bei und strich ihr zärtlich die heiße Wange, „geh' dem Vater und dem Gerold aus dem Wege, die heilige Jungfrau wird dich in ihren Schutz neh¬ men! Ich muß hier schon ausharren bis ans Ende! Und so ging die Gundel, die ihr be¬ scheiden großes Bündel rasch geschnürt hatte, nach kummervollem Abschiede von ihrer Mutter hinaus nach St. Ulrich und suchte ihre Taufgodel auf, die, eine Stadt Steyrer angesehene Bürgerin, eines der dort zerstreut liegenden Anwesen als Erbpächterin bewirtschaftete, erzählte der¬ selben ihr Unglück und bat um Arbeit. Die Frau Godel war eine resche und wohl auch oft recht „schneidige“ Frau, welche aber das Herz am rechten Fleck hatte, und nahm die Gundel in ihren Dienst, „nicht als Godenkind, als mein Dienstbot bist du da“, wie sie in ihrer 113 derben Weise dabei sagte, und so hatte die Gundel, die recht froh war darüber, eine Unterkunft gefunden und Schutz. Es schien als hätten Meister Werner und seine Söhne nur darauf gewartet, daß die Gundel aus dem Hause war, denn sie trieben es jetzt toller denn zuvor jetzt hatten sie keinen, wenn auch stummen Widerstand gegen ihr Treiben zu fürchten Sie spielten und tranken, schimpften über den verstorbenen Abt von Garsten, nann¬ ten ihn einen Geizhals, der ihnen gar nichts hinterlassen und der sein Schicksal redlich verdient habe, und stänkerten alle Welt in gröblicher Weise an, so daß ihre Nachbarschaft sich vor ihnen zu fürchten begann und nur die Gundel und deren Mutter lebhaft bedauerte, „dieweil diese beiden armen Frauen denn doch das Bad ausgießen mußten“, wie die Leute einander sich das, wie vorahnend was kommen würde, ganz richtig sagten. Das wüste Treiben der drei „Wer¬ nerischen“ war natürlich nicht nur der Nachbarschaft sondern in der ganzen Stadt und nicht zuletzt dem Stadtrichter aufge¬ allen und der Stadtschreiber, der sich der dunklen Rede Gerolds beim einäugigen Hans noch gar wohl erinnerte, erhielt den Auftrag, das wüste Kleeblatt scharf zu beobachten, was er auch gewissenhaft tat. In der heutigen „Enge“ wohnte ein Goldschmied, ein wohlhabender, ehrlicher Mann, an dessen Laden der Stadtschreiber täglich vorbei mußte, ging er auf die Rats¬ stube, und mit dem er täglich im Vorbei¬ gehen, wie das so üblich ist, sein Morgen¬ plauscherl hielt. Als der Stadtschreiber am Tage der hl. Bibiana!) in gewohnter behäbiger Weise die „Enge hinaufschritt, stand der Goldschmied, trotz der bereits ehr fühlbaren Kälte, in der offenen Ladentür und winkte dem Stadtschreiber ganz vertraulich zu, bei ihm einzutreten, und führte dann seinen Freund, der ihm, ahnend, daß es sich um ein Geheimnis handelte, willig folgte, durch den Hof in die Werkstätte, die an die Enns hinaus sich befand. 1) 2. Dezember. 8

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