Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

104 scherer jetzt sehr bestimmt im Ton, „du bist in seiner Nähe, wirst wohl auch seine Gewohnheiten kennen und wirst uns leicht Zeit und Weg weisen, wie wir zu ihm gelangen, denn er selber dürfte uns schwerlich gar freundlich empfangen, kom¬ men wir um eine Aushilfe zu ihm.“ Der Alte wollte dem Jakob beipflichten da trat aber Gundel ein. Sie war sehr bleich im Gesichte und ihre Augen ahen wie mit innerlichem Entsetzen auf Vater und Bruder. „Kann ich das Abendbrot auftragen?“ sagte sie mit leicht bebender Stimme, die Hand noch an der halboffenen Tür. „Dank der Mutter und dir nicht für euer Armeleutessen“ murrte der Alte, von der Bank aufstehend und nach seiner Mütze langend, die am Ofengesims lag, „eßt euch nur selber daran satt —wir drei gehen zum Hans hinab, da gibt's was zu beißen und eure Jammergesichter benähmen uns nur doch die Eßlust, zumal man vor euch Weibsleuten nicht Scherz und Wort' machen darf, wie's sich für Mannsleute gehört! Schlaft euch aus indes! Ein Blick auf seine Söhne, vielsagend, folgte. Die verstanden sogleich, was ihr Vater damit sagen wollte, daß man zu Hause nicht „Scherz und Wort“ machen konnte — er wollte mit ihnen noch über ihr Vorhaben sprechen. Und sie folgten daher, ohne ihre Schwester eines Blickes zu würdigen, ihrem Vater durch eine zweite Tür, die von der Stube in den Hausflur führte, und traten mit ihm auf die Gasse hinaus und schritten wortlos und nachdenklich dem Wirtshause des einäugigen Hanszu. III. Das Mädchen war in die Haustür getreten und sah den dreien mit Abscheu und Entsetzen nach.Sie war eben zur Zeit vom Felde heimgekommen, als die Männer über den Abt von Garsten und dessen Reichtümer zu sprechen begannen, und da sie in der Küche jetzt zu tun hatte, diese aber nur durch eine leichte Brettertür vom Wohnzimmer getrennt war, mußte sie, am Herde stehend, jedes der ziemlich laut gesprochenen Worte von drinnen heraushören, und war so, ohne es zu wollen, in Kenntnis darüber, daß Vater und Brüder gegen den Abt von Garsten Böses im Sinne hatten, sehr Böses sogar, das merkte die Gundel aus den Worten gar deutlich heraus. Daß es ihre Brüder mit dem mein und dein nicht gar genau nahmen, wußte sie leider nur zu gut, wenn die es auch vor der Mutter und ihr selber noch so schlau zu verdecken meinten, und daß ihr Vater seine Trunksucht und seine Spiel¬ wut nicht bezähmen konnte und da auf Abwege geraten mußte, war ihr auch klar. „Mein Himmel, was soll daraus werden?“ fragte sie sich im Stillen, als sie die Haustür absperrte, „das ist ja entsetzliches Getriebe! ein Und daß sie den Anschlag auf das Eigentum des Abtes verhindern müsse leuchtete ihr auch sogleich ein, aber wie? Ihren Vater und ihre Brüder beim Stadtrichter verklagen — nimmermehr es war ja doch ihr Vater, wenn auch kein guter Vater, und die Brüder waren eben ihre Brüder. Das brachte sie als Tochter und Schwester nicht über das Herz, daß sie die Schuld daran sich zuschreiben mußte, kamen die hinter Schloß und Riegel. Und die Schande auch für den Abt und für die Mutter und für sie elber. Sie würde geächtet sein und wer nähme sie in Steyr auch nur in den elendesten Dienst, sie, die Tochter von von Dieben? Sie schluchzte plötzlich laut auf, so ein großes, bitteres Leid war für ein Mädchen von achtzehn Jahren zu groß. Aber Gundel war keine, die lang in Gram und Kummer sich verzehrte und ihre starke Natur wehrte sich gegen das er¬ bärmliche Los, das den ihrigen durch deren Leichtsinn bevorstehen mußte, und ie unterdrückte die Regungen der Schwach¬ heit und wollte stark sein. Wie sie in ihr armselig eingerichtetes Kämmerlein trat, fiel ihr Blick auf ein kleines Bildchen, daß sie einst vom alten Stadtpfarrer erhalten hatte, als sie zum

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