84 tropolitanbahn — eine schreckliche Katastrophe, begleitet von einer grauenvollen Panik. Ein leerer havarierter Zug, der von einem anderen leeren Zuge remorkiert wurde, geriet zwischen 7 und 8 Uhr abends in einem Tunnel zwischen den Stationen Belleville und Ménilmontant durch Kurzschluß in Brand. Es wurde sofort das Signal gegeben, daß der unmittelbar nachfolgende, über¬ füllte Personenzug halte, doch der Brand nahm rasch große Dimensionen an und erfüllte den un¬ terirdischen Raum mit erstickendem Rauche; gleichzeitig wurde es im Tunnel stockfinster, da die Flammen die der Beleuchtung dienenden Drähte zerstört hatten. Es entstand unter den Passagieren des angehaltenen Zuges eine ent¬ setzliche Panik, im wütenden Kampfe suchte jeder zuerst die rettenden Treppen zu erreichen, und vermehrte so nur die allgemeine Verwirrung. Leute wurden zertreten, andere verübten Selbst¬ mord oder verbrannten und der Erstickungstod raffte noch viele dahin. Die Rettungsmannschaft, die erst um 3 Uhr morgens in den Tunnel ein¬ dringen konnte, stieß immer wieder auf neue Leichen. Die Zahl der Toten wurde am Morgen nach der Katastrophe offiziell mit 84 angegeben wozu noch viele mehr oder minder schwer Ver¬ letzte kamen. Im August 1903 wurde das Urteil in dem sensationellen Betrugsprozeß gegen die Fa¬ milie Humbert gefällt. Therese und Frederic Humbert wurden zu je 5 Jahren Kerker, Roumain Daurignac zu 3 Jahren und Emile Daurignac zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Ueber ein neuerliches, dem Justizminister am 26. November 1903 überreichtes Revisionsgesuch des begnadigten Exkapitäns Dreyfus erkannte der Strafsenat des Kassationshofes am 5. März 1904 zunächst, daß das Revisionsbegehren zu¬ lässig sei und daß über die von Dreyfus geltend gemachten Revisionsfakten eine Untersuchung ein¬ zuleiten angeordnet werde. Diese Untersuchung war zur Zeit des Berichtsschlusses noch nicht ab¬ geschlossen. Im September 1903 brach in Marseille durch ein mit Hadern beladenes Schiff aus dem Orient eingeschleppt — die Bubonenpest aus. Energischen Maßregeln — das Gebäude der Pappendeckelfabrik, in welcher die ersten Fälle auftraten, ebenso die von Lumpensammlern in einem Vororte Marseilles bewohnten kleinen Häuser wurden niedergebrannt—gelang es ziemlich rasch, die Seuche, an welcher bei 30 Per¬ sonen erkrankt waren, zu unterdrücken. In der Berichtsperiode wurden in Frankreich folgende Denkmäler enthüllt: Am 16. August 1903 in Grenoble eine Statue des Komponisten Hektor Berlioz; am 14. September in Tre¬ quier ein Denkmal Ernst Renans, des Ver¬ fassers des „Leben Jesu“ (das vom Bildhauer Boucher herrührende Monument zeigt hinter dem auf einer Steinbank sitzenden Renan eine aufrecht stehende Pallas=Athene mit dem Lorbeer in den Händen); am 11. Oktober in Clermont¬ Ferraud ein Denkmal Vereingetorix' jenes gallischen Anführers, welcher — allerdings vergeblich — einer der ersten in den Kampf gegen Julius Cäsar in Gallien eintrat. Am 2. Jänner 1904 starb in Paris Prin¬ zessin Mathilde Bonaparte. Mit ihr verschwand ein Stück Weltgeschichte. Bis in die Zwanzigerjahre reichte ihr Gedächtnis zurück, sie hat alles Interessante, das sich in Frankreich während ihres Lebens zugetragen, in eigener Person miterlebt, und es schien ein Wunder, daß sie noch mit frischem Geiste unter den Menschen weilte. Als sie, neunzehnjährig und schön wie der junge Tag, auf Schloß Arenenberg am Bodensee bei ihrer Tante, der Königin Hortense, zu Besuck weilte, verliebte sich Napoleon in sie und wollte die schöne Cousine zur Gattin haben. So wäre Mathilde Kaiserin von Frankreich geworden Königin Hortense widersetzte sich aber dieser Heirat und Mathilde vermählte sich später, über Drängen ihres Bruders Napoleon — genannt Plon=Plon — in Florenz mit dem millionen¬ reichen russischen Parvenü Anatol Demidow toskanischer Prinz von San Donato, eine Ehe, die ihr zahlreiche Brutalitäten und Schmähungen eintrug und welche dann durch Intervention des Zaren gelöst wurde. Nun übersiedelte sie wieder nach Paris, wo sich in ihrem Salon in der Rue de Berri Nr. 20 die auserlesensten Geister der Ge¬ sellschaft, die Künstler und Schriftsteller Frank¬ reichs einfanden. Prinzessin Mathilde war im Mai 1820 in Triest als Tochter des dort im Exil lebenden Königs von Westfalen, Jérome, geboren worden, hatte somit bei ihrem Hin¬ scheiden ein Alter von 83 Jahren erreicht. Am 10. Jänner 1904 starb in Paris der am 11. Mai 1821 zu Vesoul geborene berühmte Maler und Bildhauer, Professor an der Ecole des beaux-arts, Léon Gérome. Seine
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2