38 erwähnen, wollte er nicht eine häßliche Geschichte auffrischen, die einst vor Jahren durch eine lange Zeit ihn in der Leute Mund gebracht. Vergeblich mühten sich die Behörden von Waldhaim und die der Nachbarländer, um auf die Spur der Verschollenen zu kommen, die Tochter des Ortsrichters war und blieb verschwun¬ den. Die Hochzeitsfeier war zur Trauer¬ feier geworden. Der alte Ruppert, der heimlich von schweren Gewissensbissen ge¬ plagt wurde, siechte langsam dahin; er war nach kaum einem Jahre verschieden. „ Peter, sein Sohn, der Kathe innig ge¬ liebt hatte, härmte sich ab, er trauerte Jahre, bis auch bei ihm die Zeit die Wunde, wenn auch nicht heilte, so doch vernarben machte. Freilich dachte er nie daran, ein anderes Mädchen heimzu¬ ühren, er hatte Käthe so innig geliebt, daß er sich nicht an den Gedanken ge¬ wöhnen mochte, sie verloren zu haben, es war ihm, als ob ihm eine innere Stimme zuriefe: 77 — „Du findest die Verlorene wieder Sechzehn Jahre waren seitdem vergan¬ gen. Auch der Ortsrichter war alt und chwach geworden, durch den Gram um den Verlust seines einzigen Kindes zu früh gealtert, so daß er sein gewichtiges Amt einem jüngeren Nachfolger hatte ab¬ treten müssen. Krank und elend, verließ er kaum noch das Haus und seine ein¬ zigen frohen Stunden waren die, in denen er mit Peter, der ihn täglich besuchte, — ein paar Worte plaudern konnte. Eine schöne, helle Mondnacht war's und lustig ging's draußen in dem ver¬ allenen Häuschen am Ende des Dorfes zu. Ei, das war eine leichte, lebenslustige Gesellschaft, die sich heute hier eingenistet hatte. Leicht und bunt, wie der Flittertand der Kleidung, schien auch ihr Sinn, denn da hörte man nichts als singen und jubeln, da sah man nichts als scherzen und kosen, und der Mond blickte so freundlich hernieder, als wollte er dem leichten Volke, dem sein Licht das liebste ist, eine ganz besondere Freude bereiten. Und hübsche Gestalten waren es, die sich nach dem Klange des Tambourins im Kreise bewegten, braune, schlanke, glut¬ äugige Mädchen mit langem schwarzen Haare, das, wenn es sich gelöst hatte, bei einzelnen weit über die schlanke Taille herabreicht. Braune, kecke Burschen, auf deren Antlitz Liebes= und Lebenslust euchtete und denen man es ansah, daß sie trotz ihrer Armut keine Sorge kannten, ja, daß die Armut eigentlich ihren Stolz bildete. Das war ein buntes, anziehendes Bild vor dem Häuschen, so recht ge¬ chaffen, um von einem Rembrandt ver¬ ewigt zu werden. Und im Hause selber das prächtige, wenn auch minder an¬ ziehende Gegenstück. Alte, bärtige, chmutzigbraune Gesellen, dazwischen ebenso schmutzige, heulende Kinder in Lumpen gehüllt, die einzige Wohltat, die sie ihren Erzeugern verdankten. In der Küche am Herdfeuer alte lumpige Weiber eben damit beschäftigt, ein Reh am Spieße zu braten, während die alten, rauhen Gesellen fleißig dem Branntwein zu¬ sprachen und sich mit Karten=, Würfel¬ spiel oder Wahrsagen die Zeit vertrieben Da, plötzlich, um Mitternacht änderte sich die Szene in dem Häuschen am Ende des Dorfes; der Tanz verstummte, die braunen Menschen wurden ernst, feierlich, und vier Jünglinge trugen einen Teppich herbei, den sie auf dem freien Platze vor dem Häuschen ausbreiteten. Gleich darauf brachten vier andere einen kostbaren Baldachin von Sammet, mit Goldsternen durchwirkt, der derart aufgespannt wurde, daß er den Teppich vollständig überdachte. Als diese Arbeit beendet war, erschien der älteste der Zigeuner und auf seinen Wink gruppierten sich die anderen paar¬ weise um den Baldachin, wobei sie ängst¬ lich vermieden, den Teppich zu betreten. Es mußte wohl eine eigene ernste, viel¬ leicht weihevolle Feier sein, die das leicht¬ lebige Volk plötzlich so ernst stimmte. „Aber so kommt doch, Vater Anzen¬ gruber,“ drang der Goldbauer Peter in den Gemeindevorsteher, „Ihr wißt, alle erfahrenen Leute im Dorfe haben Euch geraten, einen Zigeuner um ein Mittel
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