Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

34 sich ein stattlicher Zug durchs Dorf, dem alt und jung sich freudig anschloß. Voran der Hochzeitsbitter, eine kräftige Hünengestalt, in der Hand eine Art Marschallsstab, reich mit seidenen Bän¬ dern besteckt, schwingend; ihm folgte ein Musikkorps, das, wenn auch nicht ge¬ wählte, so doch beliebte Weisen aufspielte, so daß die Dorfjugend— und wir — machen ihr daraus keinen Vorwurf lieber zum Tanzplatz, als zur Kirche geschritten wäre; dann folgte das Braut¬ paar: Peter, der einzige Sohn des reichen Goldbauers Ruppert, ein hübscher, tattlicher Bursche von etwa zwanzig Jahren, der allgemein unter dem Namen „Goldpeter bekannt und beliebt war an seiner Seite schritt Käthe, die hüb¬ sche, siebzehnjährige Tochter des Orts¬ richters, und wer die beiden jungen Leute mit strahlendem Antlitz dahinschreiten sah, der mußte wohl, wenn er sonst ein braver Mensch war, ihnen von Herzen Glück auf den Weg durchs Leben wün¬ schen, den beide heute in so heiterer und doch weihevoller Weise antraten. Rup¬ pert, der alte Goldbauer, fehlte dem Zuge; sein altes Leiden, das Zipperlein hielt ihn im Hause fest, und so mußte er denn auf die Freude verzichten, Zeuge des feierlichen Moments zu sein, in dem sein Sohn das heiligste Bündnis fürs Leben schloß. Unruhig rückte er auf seinem Sorgenstuhle hin und her, eigene, beunruhigende Gedanken schienen ihn zu quälen, und sich mit den Schmerzen ver¬ einigend, ihm sein Leben zur Qual zu machen, gerade in der Stunde, wo die meisten Einwohner des Dorfes den reichen Mann um sein Glück beneideten. Da plötzlich wurde die Türe geöffnet und Ruppert sprang vor Entsetzen auf, seine Augen richteten sich starr auf die Ein¬ tretende; gleichsam als ob er ein Gespenst vor sich sähe, streckte er die harten, knö¬ chernen Hände wie zur Abwehr aus, und wahrlich, diejenige, die in diesem Augen¬ blicke vor ihm stand, hätte auch jedem anderen unwillkürlich Grauen einge¬ flößt. Ein Weib von etwa 66 Jahren, mit braunem Teint, tiefliegenden Augen, einem zahnlosen Mund und kurzen grauen Haaren, die in einzelnen Strähnen schlangenartig das magere Haupt um¬ spielten, stand plötzlich, wie aus dem Erdboden gewachsen, vor ihm. „Hihihihi,“ begann sie kichernd, „schau Ruppert, kennst mich wohl nicht mehr? Kennst wirklich deine Erna nicht? Frei¬ lich bin nicht mehr die schöne, blitzsaubere Dirn, wie vor fünfzig Jahren! Gelt, möchtest wohl heut nicht mehr Lust ver¬ spüren, mich heimzuführen, bin ja heut ein altes, verfluchtes Zigeunerweib, dem man kaum ein Obdach gönnt, das man mit Hunden hetzt, wo sich's blicken läßt, dem alle Leut' aus dem Wege laufen. Damals aber, Ruppert, war ich ein hübsches, braves Madel, freilich nur ein Zigeunermädchen, eine Kesselflickerstochter, aber manch' vornehmer Herr hat nach mir ausg'schaut, und wann er sein' Arm um meine schlanke Taille legen konnt', hat's manch' Silber= und Goldmünz' ge¬ regnet. Waast, Ruppert, i hab's alle laufen lassen, denn aaner allein hatt' mir's angetan, i hab’ san Schwüren ge¬ traut, wollt' maan Stamm verlassen, weil i glaubt hab', daß i ohne ihn nit leben könnt'. Und i hab' maan Stamm verlassen, i bin ihm g’folgt, und i war so glücklich, wann er davon g’plauscht hat, daß i sein Weib werden sollt'. O, da hab' i Vater und Mutter und meine armen braunen Brüder und Schwestern vergessen, denn er war ja mein Einzig, mein Alles auf der Welt. Und waaßt auch noch, Ruppert, wie's der brave Bua mir gelohnt hat? Als i unglücklich war, trieb er mi, die Fremde, hinaus ins Elend, und da i nit gutwillig gehen mocht', ließ er mi durch die Gerichtsherren aus dem Dorf bringen. O, i hab' viel gelitten in erer Zeit. Ausgestoßen von den blanken Menschen, ausgestoßen auch von meinem Stamm, dem i untreu geworden war zog i durchs Land, frierend, hungernd und bettelnd, und als i mein Kind, höre es wohl, dein Kind, angeschaut hab’, da wünscht' ich immer, daß es dereinst, wann es groß ist, saan Mutter an dich rächen möcht'. Es ist nit groß g’word'n, darfst

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