10 und verstand es auch, solche triftige Gründe vorzubringen, die angenommen wurden. Allerdings, ganz wurde Annas Unmut nicht gehoben, aber sie wurde milder gestimmt. Nachdem nun der erste Tanz vorüber war, gab es Bewerber genug, und vergnügt wählte sie sich den jeweiligen Glücklichen aus, worunter Sepp so oft war, als es nur immer Ortsgebrauch und Sitte erlaubten! So ging der Nachmittag rasch vorüber, aber später ereignete sich etwas, was noch bei keinem Kirchweihtanz geschehen war. Während früher die älteren Leute in den anstoßenden Räumen plaudernd, rau¬ chend, trinkend und zuschauend die Zeit zugebracht hatten, zogen sie es heute vor den schönen Abend im Grasgarten unter den Obstbäumen zu verleben. Die Ver¬ anlassung hierzu war niemand anderes als der Höckerige, der nach seinem Zu¬ ammentreffen mit Anna ruhig seinen alten Platz im Garten wieder einnahm, und allseits zum Singen aufgefordert, durch den Reichtum seiner heiteren und ernsthaften Lieder einen großen Zuhörer¬ kreis um sich versammelte. Doch aus der Teilnahme und dem Wohlgefallen wurde bald geradezu Begeisterung, als er auf einem Waldhorn so zu blasen begann, wie es die schlichten Landleute noch nie¬ mals vernommen hatten. Die Weisen waren trotz des tadellosen Vortrags doch einfach genug, um mit vollem Verständ¬ nis von den Dörflern aufgefaßt zu werden. Lienhard wußte die Wirkung noch dadurch zu erhöhen, daß er nur Lieder vortrug, zu denen die Hornbe¬ gleitung paßte, und die er am Ende der Strophen gleich einem Widerhall folgen ließ. So war's jetzt ein Postillon, der, durch die stille Mondnacht fahrend, dem fernen Lieb seinen Gruß brachte, dann ein Jäger, der im dunklen Tann mit ehnsuchtsvollem Auge Frau Echo weckte, bald ein Bergschütz, der in den Reihen seiner Kameraden dem Hornklang in den Tod fürs Vaterland folgte! —Lieder, Vortrag, Begleitung — alles war den Leuten neu, und brachte die gleiche Wir¬ kung hervor, wie sie im Mittelalter nur einer jener fahrenden Sänger von Ruf erzielen konnte, der mit seinem Gesang und Spiel auch zugleich die Dichtkunst zur Momentschöpfung vereinte! Niemand von den Zuhörern mochte mehr fort, selbst die Mädchen eilten in den Pausen vom Tanzboden, um einiges von den schönen, neuen Liedern zu er¬ lauschen! — Daß von dem höckerigen Liedler viel Gerede oben im Saal war, * laßt sich denken, und Anna mußte, wo sie sich hinwendete, Erzählungen von ihm und über sein Singen mit anhören; ebenso rühmend wurde sein Gesangs¬ wettstreit mit Sepp, sowie seine Riesen¬ kraft, die er vorhin gezeigt, erwähnt auch versteckte Anspielungen auf ihre Be¬ gegnung mit ihm klangen durch. So wurde sie denn zuletzt sehr ver¬ stimmt; sie meinte, sie ärgere sich über den verwünschten Buckligen — doch der wahre Grund lag wohl wo anders! Un¬ zufriedenheit mit sich selber, wollte sie sich die Ursache nicht offen gestehen! Da¬ rum setzte sie allen Einladungen, doch im Grasgarten den Künstler anzuhören, die unwirsche Ausrede entgegen, sie wollte dem Höckrigen nicht gegenüberstehen oder sitzen! Ihr treuer Geselle in Eitelkeit und im Hochmut war der Sepp. Der mochte eben¬ owenig die düstere Tanzstube verlassen wie seine schöne Partnerin. Dadurch kamen sie in nähere Berüh¬ rung, als wie es sonst wohl der Fall gewesen, und der schlaue Bursche unter¬ ließ es nicht, vom Zufall und von Annas Stimmung für sich Nutzen zu ziehen. Als nun das Mädchen einen Augenblick auf dem Vorplatze an ein Fenster getreten war, von wo aus man schon auf die abendlich geröteten Berge schauen konnte, lehnte sich Sepp neben sie in der festen Ueberzeugung, heute müsse noch die Er¬ klärung kommen! „Glaubst“, begann er, „daß ich weiß, warum Du so in die roten Wolken hineinschaust? „Mein' nicht, daß Du so siebengescheidt bist! ... An was hab' ich also gedacht?“ entgegnete Anna.
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