Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

4 Kopfschüttelnd sah der Müller dieses unmutige Treiben mit an. Die Schwä¬ gerin jedoch hob den so arg behandelten Buschen auf. „Trägst Du ihn auch nicht,“ meinte sie, indem sie die prächtigen Blumen wieder zurecht machte, „so ist's alleweil schad' um die schönen Blüten! Wer weiß, mit welcher Lebensgefahr sie der gute Bursch vom Felsgewände geholt hat! „Der Rautersepp?! gute Der Bursch?!“ spöttelte der Müller. „Wie ist mir denn? Das ist doch der Sohn vom Rauterbauern über'n im Tal¬ winkel bei den „Nasen“? Der „Herzogenstand“ — der bayerische —fällt in seinen Ausläufern „Rigi turmhoch ganz schroff in den Kochelsee ab und die umher wohnenden Aelpler nennen diese seltsam geformten Felsen „Die Nasen“ „Ja! Kein anderer als der ist's!“ ver¬ setzte voll Eifer die Schwägerin. „Der einzige Sohn des reichen Rauterbauern und ein sauberer Bursch!“ „Und ein Loder dazu!“ brummte der Müller. „Ja, der ärgste Loder im ganzen Seerevier! Der ist bei jeder Gaudi und auf dem Tanzboden der allererste, bei der Arbeit der letzte! Ja, ein sauberer Bursch, der seinem alten Vater davon ist, der sich nun mit fremden Leuten ab¬ schinden muß, damit das Früchtl als Holzknecht seine Freiheit hat und nur so viel zu tun braucht, als er g’rad mag! 7 „Das ist denn doch nicht wahr!“ redete nun Anna heftig dazwischen. „Wohl ist der Sepp ein lustiger Bub’, aber er ist auch brav! Du weißt es so gut wie ich und die ganze Gemeinde, daß der alte Rauterbauer ein recht bissiger Geizkragen ist, der niemand, auch seinem einzigen Sohn, kein bissel Freude vergönnt Schande genug für den bissigen Neid¬ hardt, daß sein Einziger als Holzknecht in der Fremde herumfahren muß! Für'n Sepp ist's jedoch keine! Das kleinste Kind weiß, daß Holzhauen keine Nascherei ist! * „Schau, schau nur!“ hohnte der Müller „was ich für ein mundfixes Diarndl hab'! Alles weiß sie und hat doch erst dreimal mit dem Nichtsnutz gered't! Mach' Dir keine Plag', daß es nochmal geschieht! Jetzt und für alle Zeit sag' ich Dir, die Mühl am Joch hat keine Stell für so einen, der hinten am Walchensee und in der Jachenau mit Beil und Ruck¬ sack im Forst herumstreunt!“ „Kein Mensch verlangt für ihn einen Platz bei uns!“ rief Anna herb, „aber ich mag's nicht hören, daß Du, Vater einem ordentlichen Burschen Unrecht tust Und willst Du's so halten, so mach' ich nicht mit. Erst hab' ich seinen Buschen nicht anstecken wollen, jetzt tu' ich's aber, um dem Burschen eine Freud' zu machen, der sich beim Abpflücken den Hals hätt brechen können! Sie trat rasch zu der Schwägerin hin, nahm ihr den Strauß aus der Hand und befestigte ihn an ihrem Mieder. Der Müller wollte wieder auffahren aber die Schwägerin rief: „Was zankt Ihr Euch wegen dieser unschuldigen Blümerln herum? Das Annerl hat Recht! Wart's doch ab, Schwager, eh' Du greinst, ob Dir der Sepp was will! Spann' lieber die Bräuneln an, damit wir noch in die Kirche vor dem „Amen“ kommen. Denk' der Herr Pfarrer kann's predigen doch besser als Du! Bald darauf flog das leichte Fuhr¬ werk, ein Leiterwägelchen mit kunstlosen Sitzen, die offen waren, von einem Paar prachtvoller, feuriger Rosse gezogen, pfeilgeschwind an den zerstreuten Ge¬ höften vorüber, wo sich hie und da an einem schnell geoffneten Fenster das Ge¬ sicht eines Greises oder einer alten Frau zeigte, die in Abwesenheit aller Bewohner als Kirchenwache zurückgeblieben. Nachdem sich die Staubwolken der Räder in der Ferne verzogen, schlossen sich die Fenster wieder, aber nicht, ohne daß sich eine oder die andere Nachbarin zurief, wie schön und stattlich das Reifenstuel=Annerl sei, und nun wär' wohl nimmer lang zu ihrem „Stuhlfest“ hin! Die drei Wagen¬ insassen kümmerten sich jedoch weder um Umgebung, noch um deren Bewohner jedes hatte vollauf mit seinen Gedanken

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