Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

2 Jedoch der weite Hofraum, sowie alle Wege, die zu ihm hinein= und heraus¬ führten, zeigten sich so rein gehalten edes Gerät stand so sorgfältig an seinem Platz, daß man die tüchtige und alles ordnende Menschenhand daraus er¬ kannte, die über dem schönen Besitztum waltete! Das ganze Gehöft hatte ein ungemein freundliches, fast nicht mehr bäuerisches Aussehen in seiner zierlichen Anlage und Ausstattung; es konnte bei¬ nahe auf den Namen eines kleinen Herren¬ hauses Anspruch machen! . .... Die großen Glocken der früheren Stiftskirche über dem See hörten jetzt auf zu läuten, dafür tönten die viel kleineren und weniger harmonisch klin¬ genden der Kirche im nahen Dorf Kochel, wo der Jochmüller eingepfarrt ist, noch fort. Jetzt trat auch ein hochgewachsener, breitschulteriger Mann aus der Tür des geräumigen Pferdestalles hervor und blieb in horchender Stellung stehen. Er trug die zur Zeit unserer Großväter dort noch übliche Kleidung der bayerischen Gebirgsbewohner, die Wohlhabenheit ge¬ zeigte und aus feineren Stoffen als wöhnlich bestand. Kerzengerade stand der Gebirgler da; schauten auch bereits spär¬ liche graue Haare unter dem schmalge¬ krempten grünen, mit Gamsbart und Schildhahnstoß geschmückten Filzhut her¬ vor so wiesen die nackten gebräunten Knie in ihren zierlich ausgenähten Waden¬ trümpfen doch noch solche Straffheit auf, daß trotz der vorgerückten Jahre des Trägers an seiner kräftigen Rüstig¬ keitnicht gezweifelt werden konnte. Nun verstummte auch das Kocheler Geläute, und der Müller, eben der fest¬ lich geputzte Hochländer, rief unmutig. „Da haben wir's! Wenn ich mein Weiber¬ volk Herr sein lasse, komme ich gerade Segen recht!“ zum Rasch schritt er dem Wohnhause zu, trat, seine Hünengestalt bückend, durch das spitzbogige Tor — noch ein Ueber¬ bleibsel des Klosterbaues —und wollte über den ziegelgepflasterten Flur in die Wohnstube gehen, deren Tür weit offen stand, so daß die schneeweißen Wände und das schwarze Getäfel, das bis zur halben Höhe derselben reichte, ersichtlich waren, als ihm auf der Schwelle eine stattliche Frau im vollen Sonntagsstaat entgegenkam. Sie rief sofort: „Bereits fertig, Schwager? Sind die Bräuneln schon eingespannt?“ „Schon?“ entgegnete lachend der Müller. „Schon? In der Zeit hätt' ich ie ein= und ausgeschirrt und wär' in die Kirch' und wieder heimgefahren; bis Ihr Eure Köpfe in Ordnung bringt! Rasch fiel ihm die Bäuerin ins Wort: „Recht hast, Schwager, bei uns zweien dauert's nimmer lang, bis wir mit un¬ seren alten Köpfen in Ordnung kommen! Aber beim Annerl ist's was anderes!" „Warum?“ meinte der Müller. „Wenn sie ihre neunzehn Jahre nicht putzen, bringt sie's für sich auch nicht fertig! Es ist nichts nutz, wenn sich ein Bauernleut tundenlang, vor den Spiegel hinsitzt, wie ein Stadtfräulein!“ Er trat an seiner Schwägerin vorbei in die Stube und wollte in seiner Predigt fortfahren, aber plötzlich schwieg er, als bliebe ihm das Wort im Mund stecken, denn eben trat ihm die Tochter in Fest¬ tracht entgegen. Seine Ueberraschung war verzeihlich. Nicht leicht gab es ein freundlicheres Bild, als das hübsche Mädchen im knappen, schwarzen Mieder mit dem Silbergeschnür, in den kurzen, spitzen¬ besetzten Aermeln, aus denen zwei zwar luftgebräunte Arme, aber schön und wohl¬ geformt, hervorsahen, im kurzen Rock, der die niedlichen Füßchen sehen ließ! Ein wahrhaft liebliches, blühendes rosiges Angesicht, das unter dem grünen Hut, zwischen den breit um die Stirn gewundenen Seitenzöpfen hervorsah, vol¬ lendete diesen Eindruck. Agatglänzend war das Haar und die kornblumenblauen Augen schimmerten eelenvoll aus dem reizenden Gesichtchen. Der Ausdruck fröhlichen Uebermuts lag in ihnen, während um den kleinen Mund ein so gewinnendes Lächeln von Herzens¬

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