Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

106 Mädchen „ich geb’ dir meinen Fund, magst ihn als Andenken annehmen für deine bereitwillige Führung hieher. Und tragst du das Ding nicht selbst, häng es dem Häslein um, so du heut gefunden hast!“ „Dank Euch, Herr,“ erwiderte Lisbeth und nahm ohne Scheu die Schließe, „werd' das schon selber tragen, denn dem Häschen ist wohl etwas wilder Klee lieber und auch zuträglicher beim Zahnen, und sein Pelz schließt auch so schon gut — nehmt in acht, Herr!“ Euch Gleichzeitig gab das Mädchen Ottokar einen recht unsanften Stoß, eigentlich schol sie ihn mehr als sie ihn stieß, von dem Schutthaufen weg, riß blitzschnell dem Barschalk den kurzen Jagdspeer aus der Hand und hieb mit dessen Schaft gegen das Gerölle los, daß die Funken stoben und einzelne Mörtelsplitter hoch auf= und herumflogen. Graf Ottokar war nicht wenig überrascht von dem ihm rätselhaften Gebaren Lisbeths und wollte schon auf¬ brausen ob solch' unehrerbietigem und unverständlichem Tun. Aber unwillkürlich folgten seine Blicke, ebenso wie die der anderen, den Bewegungen des Jagdspeeres und alle erkannten rasch den Zweck von Lisbeths „Waffenübung“. Aus dem Ge¬ rölle hatte sich ein fingerdickes Schlänglein hervorgewunden, oder hatte es, sich 2 sonnend, auf dem Schutt gelegen und war getreten worden, wer konnte das jetzt wissen? Lisbeth aber, deren Blicke aus ihr angeborener Lebhaftigkeit nie ruhten, hatte bemerkt, wie die Schlange sich ringelte sich streckte und den Kopf zischend hob zum vielleicht tödlichen Biß, stracks au Graf Ottokar hin. So war das furcht¬ lose Naturkind nicht verlegen oder gar erschrocken, sondern hatte, schneller als es gesagt werden kann, den bedrohten Grafen weggeschoben und die Schlange mit kräftigen Hieben totgeschlagen. Die lag nun da mit zerschmettertem Kopfe, noch zuckend, aber doch bereits ohne Leben Der Barschalk zog das Jagdmesser, aber Graf Ottokar schob nun seinen Jagd¬ speer unter das Tier, hob es in die Höhe, so daß es lang und todesschlaff herab¬ baumelte über den Schaft, und sah prüfend die Schlange an „Es ist eine giftige Natter“, sagte er dann ruhig und hob deren Kopf mit der nun schon behandschuhten Linken weiter zu sich herauf, „ihr Biß hätte mir recht übel bekommen und mir ein großes Siechtum verursachen können! Wie die Natter noch jetzt die gespaltene Zunge aus dem Munde streckt — schier wie wenn es Feuer spie, glänzt das Zünglein da im Sonnenlicht, just wie bei meinem 7725) Wappentier! Er warf die tote Schlange mit festem Schwung weit hinüber über das Gerölle, daß sie platschend tief im Gebüsch zur Erde fiel, dann reichte er Lisbeth die Hand und sagte herzlich: „Bist ein wackeres Mädel, ich danke dir! Will dir diesen Dienst auch nicht vergessen! Nun aber, Gott befohlen allseits sollt noch von mir hören, mein' ich! Rasch war der Graf im Sattel und ritt, das vor Ungeduld tänzelnde Roß fest an das Gebiß vordrückend, in den Wald hinein, gefolgt vom Barschalk und dem Leibknappen, die kaum noch so viel Zeit gehabt hatten, um sich von ihren Gastfreunden dankend zu verabschieden. IV. Am Heimweg war Graf Ottokar sehr wortkarg und ruhig gewesen, weil er über das Gesehene und Erlebte an diesem Vormittage nachdachte. Er sprach darüber auch die nächsten Tage nichts, aber einige Stunden vor der Abreise ließ er den Vogt von Sirnicha zu sich rufen und eröffnete ihm kurz und bündig, daß er sich entschlossen habe, am Zusammenflusse der Enns und Steyr, an Stelle der daselbst befindlichen Ruinen und mit Benützung der noch festen Grundmauern, eine Burg zu bauen. Den Baumeister und die Werkleute wolle er schon senden, der Vogt habe bis dahin die entsprechenden Vorarbeiten zu besorgen, auf der Höhe den Wald auszuroden und *) Die Traunganischen Ottokare führten einen feuer¬ speienden Panter im Familienwappen.

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